Die Galerie der Lügen
Kopf. »Sie ist so schlank, Thelma. Fast zierlich. Und trotzdem hätte sie uns beide fast umgerissen.«
»Mich legt so schnell keine aufs Kreuz«, widersprach Hammersmith. Sie wandte sich wieder ihrer Gefangenen zu. Fast beschwörend sagte sie: »Lassen Sie sich den Nierenschlag eine Warnung sein, Herzchen. Am Ende sind wir sowieso immer die Stärkeren. Und jetzt ziehen Sie sich aus.«
Der Verstand sagte Alex, dass die Unförmige Recht hatte, aber ihr Gefühl sträubte sich immer noch gegen das Unvermeidliche. Ihr Atem ging schnell und stoßweise. Ohne die beiden Wächterinnen aus den Augen zu lassen, ging sie rückwärts, bis sie gegen die Wand stieß.
Die Kälte des abwaschbaren Anstrichs tat ihrem glühenden Körper gut. Ihre Hand suchte auf dem Rücken nach dem Reißverschluss, fand und öffnete ihn. Sie streifte die dünnen Träger des Abendkleides über die Schultern und ließ es zu Boden fallen.
Hammersmith verzog keine Miene, ihre kleinere Kollegin schmunzelte genüsslich.
Alex schloss die Augen. Aber dadurch wurde der Albtraum nur noch schlimmer. Sie sah sich selbst als Vierzehnjährige. Die Adoptiveltern waren ins Theater gegangen. Sie hatte sich splitternackt vor den Garderobenspiegel der Mutter aufgebaut, um ihre Genitalien einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Es war ein aufregendes Erlebnis! Aber dann änderte sich alles. Die Besuche in der Universitätsklinik wurden zu einer regelmäßigen Einrichtung. Ärzte steckten ihre Finger in ihre Vagina, Studenten sch o ssen Erinnerungsfotos von dem verängstigten, gänzlich entblößten Studienobjekt. Vor einer Messlatte.
Irgendwann – an den genauen Zeitpunkt konnte sie sich nicht mehr erinnern – hatte sie die Entdeckungsreisen ins eigene Ich aufgegeben. Den Blick in den Spiegel gestattete sie sich von da an normalerweise nur noch während der Morgentoilette, und auch nur dann, wenn sie dabei nicht mehr als ein lebendiges Porträtfoto zu sehen bekam. Mit welchem Recht verlangten Hammersmith und ihre burschikose Kollegen mehr, als sie sich selbst zugestand?
Während ihr Atem immer schneller ging, kämpfte sie gegen das Empfinden an, sich aus dem eigenen Körper zu lösen. Sie stand neben den beiden geilen Wärterinnen und sah dieses keuchende, jämmerliche Geschöpf an der Wand. Sein schlanker Körper war fast knabenhaft, die helle Haut so rein wie ein Pfirsich, und die Brüste konnten in jeder Hinsicht auf Stützen verzichten; ihre Größe war von der Art, die Schönheitschirurgen zu reichen Männern machte. Abgesehen von den Schuhen, die jetzt unter dem zusammengefallenen Kleid verborgen waren, trug das Mädchen nur noch ihre Boxershorts aus champagnerfarbener Seide.
»Haben wir nicht noch etwas vergessen?«, fragte die Unförmige spöttisch.
»Bitte!«, bettelte Alex. Schamhaft bedeckte sie ihre Brüste mit den Unterarmen. In ihren Ohren rauschte ein Wildbach. Wäre die Wand nicht da, hätte der Schwindel sie längst umgeworfen.
»Nur keine Prüderie, Herzchen. Wir sind solche Anblicke gewohnt.«
Alex drehte sich mit dem Bauch zur Wand, streifte den Bund der Shorts so weit über die Hüften, bis das seidige Höschen ihre langen Beine hinabrutschte und in dem gebauschten Abendkleid verschwand. Wie damals das verängstige kleine Mädchen an seine Mutter, drückte sie sich an die Mauer. Handflächen, Brüste, Unterleib und Schenkel sogen die Kälte aus dem Gestein.
»Und jetzt umdrehen«, befahl Hammersmith.
Die Gefangene presste sich nur noch fester an die Wand. Ihre Finger kribbelten, im Mund fühlte sich alles taub an. Hinter sich hörte sie einmal mehr das Klatschen des Schlagstockes in der hohlen Hand.
»Wie’s aussieht, Thelma, müssen wir doch nachhelfen«, sagte die Unförmige.
Alex keuchte wie ein Sprinter nach dem Zieleinlauf. Krämpfe durchliefen ihre Arme und Beine. Sie hörte, wie ein Stuhl über den Boden schabte. Keine Gewalt mehr! Der Gedanke half ihr dabei, sich umzudrehen. Schwer atmend stützte sie sich mit dem Rücken an die Wand und erwartete mit geschlossenen Augen irgendeine Reaktion. Aber nicht einmal der Hieb mit dem Schlagstock kam. Schließlich hob sie die flimmernden Lider.
Die Augen der beiden Wärterinnen waren weit aufgerissen, die Unterkiefer hingen schlaff herab. Wie angewurzelt standen sie da und glotzten die Gefangene an. Zuerst gewann die Große ihre Fassung zurück. Ein Ruck ging durch ihren unförmigen Leib, sie zog ein Funkgerät unter der Jacke hervor und drückte die Sprechtaste.
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