Die Galerie der Lügen
Die Daniels ist in die Museen eingebrochen; sie ist die Mörderin.
Das großherzige Angebot, ihr in die Freiheit zu verhelfen, hielt Alex für ein taktisches Manöver. Shaw wollte den Verlust für seine Versicherung so gering wie möglich halten, da griff er eben nach jedem Strohhalm. Sogar vor unerlaubten Tricks schreckte er nicht zurück. Der Mann musste ziemlich unter Druck stehen.
Je länger Alex darüber nachgrübelte, desto klarer wurde ihr, dass sie sich nicht auf andere verlassen durfte. Die Entscheidung, die sie gegen Ende der Befragung gefällt hatte, war richtig. Sie musste die einzige Chance nutzen, die ihr noch blieb, selbst wenn diese einem Fallschirmsprung inmitten dunkler Gewitterwolken glich.
Im Besucherraum war sie lange genug den Blicken der Bewacher entrückt gewesen, um ihren Entschluss in die Tat umzusetzen. Shaw hatte sie sogar mit den nötigen Schreibutensilien versorgt. Im Schutz der Bettdecke zog sie den Zettel aus der Gesäßtasche, um noch einmal die Worte zu lesen, die sie hastig auf das Papier geworfen hatte.
Ich willige ein, aber nur wenn es kein Pakt mit dem Teufel ist. A. D.
»Tu es!«, befahl sie sich flüsternd und faltete den für Theo bestimmten Kassiber ganz klein zusammen.
Als Maggy am Freitagmorgen ihre mobile Essensausgabe vor der Zelle des Untersuchungshäftlings Alex Daniels parkte, schien sie phlegmatischer zu sein als sonst. Dorothy, die sie beaufsichtigende Wärterin, kannte die vielfältigen Tricks ihrer Mädels, aber die Gemächlichkeit der kleinen Asiatin kam ihr gerade gelegen – wer konnte schon etwas dagegen haben, die Arbeitswoche etwas ruhiger ausklingen zu lassen?
Maggys Schneckentempo zielte allein darauf ab, ihre Botschaft unauffällig zu überbringen.
Das Schlüsselbund rasselte. Die Tür wurde geöffnet.
»Frühstück!«, trompetete Dorothy und gab den Weg frei.
Maggy balancierte das Tablett an ihr vorbei in die Zelle.
Deren Insassin saß bereits am Tisch. Erwartungsvoll blickte sie der Mitgefangenen entgegen. An diesem Morgen wirkte Alex schon erheblich aufgeräumter als vor zwei Tagen.
»Dir scheint’s heute besser zu gehen«, bemerkte Maggy.
Alex verzog den Mund, schwach zwar, aber es war eindeutig ein Lächeln. »Wer in Hoffnung lebt, der tanzt ohne Musik.«
»Du hast auch allen Grund dazu«, versicherte Maggy und zwinkerte Alex zu.
Deren erstaunliche Augen leuchteten auf, ein sicheres Zeichen, dass die Botschaft angekommen war.
»Nicht schwatzen, sondern schieben«, meldete sich Dorothy vom Gang. Unmissverständlich klopfte sie mit dem Schlüssel gegen das Gestänge des Servierwagens.
Maggy verdrehte theatralisch die Augen. »Auf einer Sklavengaleere konnte es auch nicht schlimmer gewesen sein als hier. Mach’s gut, Schwester.«
Alex nickte. »Danke, Maggy. Für alles.«
Ihre Beherrschung wurde auf eine harte Probe gestellt, nachdem sie den Kassiber unter dem Teller entdeckt hatte. Theo antwortete überraschend schnell. Wie schaffte er das? Mit Bestechung? Oder war er selbst ein Rädchen im Uhrwerk der Vollzugsbehörde, das gerne einmal selbst das Tempo vorgeben wollte?
Weil Alex nie wusste, ob das Kameraauge gerade schlief oder wachsam auf sie herabblickte, gab sie wieder die gleiche Vorstellung wie schon an den Tagen zuvor. Sie legte sich nach dem Essen auf ihre Liege und deckte sich einige Minuten später zu. Alsbald las sie im fluoreszierenden Widerschein ihrer Haut die handgeschriebene Nachricht.
Alex,
ich freue mich über deine Entscheidung. Jetzt, nachdem unsere Lebenslinien sich kreuzten und ich einiges von dir gelesen habe, bin ich überzeugt, dass wir beide dieselben Ziele verfolgen. Die großen Lügen müssen bloßgestellt werden. Du besitzt die Gabe, Menschen zum Nachdenken zu bewegen. Leider hat bisher nur eine kleine Minderheit von dir Notiz genommen, Menschen, die sich nicht von der Wissenschaftsgläubigkeit der Masse haben blenden lassen. Wie sagte Einstein doch so treffend? »Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein.« Dir ist die Möglichkeit gegeben, der Wolf zu sein, der ein paar Leithammel reißt.
Als dein brüderlicher F reund rate ich dir, auf einen Vergleich deines genetischen Fingerabdrucks mit jenem der unidentifizierten Leiche aus dem Louvre zu bestehen. Dadurch wirst du deine Freiheit zurückerlangen. Als kleines Dankeschön für meinen Dienst würde ich es schätzen, wenn du mir auch einen Gefallen tätest. Sofern es weitere
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