Die Galerie der Lügen
spektakuläre Kunstdiebstähle geben wird, wovon ich ausgehe, könnten deine journalistischen Fähigkeiten unserer Sache wertvolle Dienste leisten. Mir ist bewusst, dieser Kampf gleicht dem von David gegen Goliath, aber wir alle wissen, dass der vermeintlich Schwächere am Schluss den Sieg davongetragen hat. So kann auch für uns jeder Museumseinbruch zu einem Schöpfungstag werden, und alle zusammen vermögen in den Köpfen der Menschen eine neue Welt erstehen zu lassen. Aber davon später mehr.
Theo
Nachdenklich faltete Alex den Briefbogen zusammen und versteckte ihn in der Hosentasche. Später würde er in der Toilette verschwinden wie schon der Kassiber zuvor.
Weshalb sollte sie ihren genetischen Fingerabdruck mit dem der Leiche aus Paris vergleichen lassen? Das ergab keinen Sinn… Oder vielleicht doch?
Wer war dieser Theo? Warum hatte er sich ausgerechnet dieses Ausspruchs von Einstein bedient, der für sie von ganz besonderer Bedeutung war? Kannte er ihre Schwäche für derlei Zitate und hatte bei dem Versuch, sie auf diese Weise für sich einzunehmen, einen Zufallstreffer gelandet? Sie würde wachsam sein müssen, so lange sie nicht mehr über die wahren Motive dieses mysteriösen »Freundes« wusste, als er in seinen Andeutungen erkennen ließ.
Langsam schlug sie die Decke zur Seite und erhob sich aus dem Bett. Sie ging zur Zellentür und hämmerte mit den Fäusten dagegen.
Schon nach kurzer Zeit hörte sie das vertraute Rasseln der Schlüssel. Die Tür öffnete sich, und Dorothy stand vor ihr.
»Was soll der Lärm? Haben Sie das Frühstück in den falschen Hals bekommen? Sind Sie am Ersticken?«
»Ich muss dringend Detective Superintendent Longfellow sprechen.«
»Und dafür schrecken Sie mich hoch? Hat das nicht Zeit bis zum nächsten Verhör?«
»Nein! Sagen Sie ihm, wenn er nicht länger im Dunkeln tappen möchte und weitere Museumseinbrüche verhindern will, dann soll er seinen Hintern hierher bewegen.«
War es der Blick aus ihren fast magischen violetten Augen oder der fordernde Ton, in dem sie ihr Anliegen vorgebracht hatte? Dorothy zögerte jedenfalls nicht lange. Nachdem sie vernehmlich die Luft durch die Nase ausgestoßen hatte, sagte sie: »Also gut, Mädchen. Ich sorge dafür, dass Ihr geliebter Kommissar einen Anruf erhält. Aber wenn das hier nur eine Finte gewesen ist, um mich ein wenig herumzuscheuchen, dann machen Sie sich auf etwas gefasst.«
Drei Tage später wurde Alex beim Frühstück gestört. Betty Turner öffnete die Zellentür und grinste.
»Besuch für Sie.«
»Wieder dieser Shaw?«
»Wenn er sich nicht seit letzter Woche hat einschwärzen lassen, würde ich eher auf einen anderen tippen. Prächtiger Bursche. Groß wie ein Bulle. Für meinen Geschmack allerdings etwas zu alt. Der andere war knackiger.«
Vielleicht entwickelte sich diese Art von Humor ja zwangsläufig, wenn man tagein, tagaus fünfhundert weibliche Häftlinge bewachte. Alex hatte dafür jedenfalls wenig übrig. Ohne die Miene zu verziehen, erhob sie sich, ließ sich die Handschellen anlegen und begleitete die Wärterin in den Besucherraum. Dort wurden sie bereits von Detective Superintendent Longfellow erwartet. Betty ließ die beiden allein.
Der Kommissar und die Gefangene standen sich gegenüber wie zwei Engländer, die niemand miteinander bekannt gemacht hatte: unmöglich, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Plötzlich erschrak Alex. Das Monsterding, schoss es ihr durch den Sinn. So nannte sie diesen bewussten, lüsternen Blick, den sie in den letzten Tagen wieder öfter gesehen hatte, zuerst bei Dr. Chestnut, dem Anstaltsarzt, und dann bei einigen Wärterinnen. Was wusste Longfellow? Wieso war er gekommen?
Weil er sie nur anstarrte, ergriff Alex das Wort. »Heute ohne Ihren Kollegen hier?« Sie merkte, wie ihre Stimme zitterte.
Der Polizist zuckte zusammen, als hätte sie ihn aus einer Trance gerissen. Er räusperte sich und antwortete: »Das ist kein Verhör. Ich komme nur, um Ihnen eine Mitteilung zu machen.«
Longfellow schwitzte. Er wartete, vielleicht um der Gefangenen Gelegenheit zur Antwort zu geben, aber die schwieg.
Ein weiteres Mal musste er sich räuspern. Das Selbstbewusstsein des Polizisten, der sie vor einer knappen Woche verhaftet hatte, war wie weggeblasen. »Die französischen Kollegen hatten bereits einen genetischen Fingerabdruck von der Leiche der unbekannten Person erstellt. Deshalb dauerte es, nachdem Sie Ihre Haarprobe abgegeben hatten, nicht lange; hätte
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