Die Galerie der Lügen
Zwillingen.«
»Ja. Es könnte an der schlechten Qualität liegen. Davon waren die Experten bei Interpol bislang ausgegangen. Das ist auch der Grund, weshalb der Verdacht gegen Sie nicht völlig ausgeräumt ist.«
Irgendwie überzeugte die Erklärung Alex immer noch nicht. Sie musste die Frage stellen, die ihr seit vierundzwanzig Stunden im Kopf herumspukte, selbst wenn sie sich dadurch wieder verdächtig machte. »Heute ist Montag. Vor einer Woche wurde der Raub im Kunsthistorischen Museum Wien entdeckt. Hat es wieder einen Einbruch gegeben, Superintendent?«
Longfellows schwarze Augen glitzerten matt im Neonlicht, als er Alex durchdringend musterte. Seine Antwort klang wie eine Kapitulationserklärung. »Ja. Direkt vor unserer Nase. Am Trafalgar Square. In der National Gallery.«
Alex lächelte schwach. »Also, ich bin’s nicht gewesen.«
Der Beamte verzog keine Miene. »Das sehe ich auch so. Haben Sie Geschwister, Ms Daniels?«
»Nicht dass ich wüsste. Ich bin von meinen Eltern adoptiert worden.« Sie musste an den Zeitungsartikel denken, den Susan ihr nach der Preisverleihung gezeigt hatte.
»Haben Sie Kontakt zu Personen gehabt, die sich als Ihre Geschwister ausgaben? «
Als dein brüderlicher Freund rate ich dir… Die Worte aus Theos Brief hallten durch Alex’ Geist. »Nein«, antwortete sie knapp.
»Tja, das ist merkwürdig«, erwiderte Longfellow. »Anhand des mir vorliegenden Laborberichts hätte ich mein Gehalt darauf verwettet, dass Ihre leibliche Mutter eine Mehrlingsgeburt hatte. Alles weist auf eine Verwandtschaft zwischen Ihnen und der Leiche aus Paris hin.«
»Offen gestanden wäre das eine ziemliche Überraschung für mich«, gab Alex zu.
Longfellow nickte. »Die Möglichkeit eines solchen Verwandtschaftsverhältnisses hindert uns leider daran, Sie einfach laufen zu lassen.«
»Ich wusste nicht, dass es in der britischen Justiz neuerdings Sippenhaft gibt.«
»Solche Unterstellungen verbitte ich mir, Ms Daniels. Ich tue nur meine Pflicht. Aus kriminalistischer Sicht wäre es höchst fahrlässig, einer möglichen Beziehung zwischen Ihnen und der tatverdächtigen Person keine Beachtung zu schenken. Ich muss wissen, ob Sie Kontakt zu dem Einbrecher hatten.«
»Sie könnten mich ja danach fragen – ich hatte keinen.«
»Leider genügt mir das nicht.«
»Weil Sie glauben, ich belüge Sie.«
»Sagen wir, weil Sie gegenüber Mr Shaw eine zutreffende Angabe über ein Detail gemacht haben, das die Polizei nie veröffentlicht hat.«
»Ein Detail…? Sie haben den Spiegel gefunden?«
»Woher wussten Sie davon?«
»Ich habe nur eins und eins zusammengezählt. Er ist das beherrschende Traumsymbol in Magrittes Gemälde vom unachtsamen Schläfer. Wo haben Sie ihn entdeckt?«
»In der Kleidung der durch die Bombe zerfetzten Leiche… Sagten Sie eben Traumsymbol? «
»Schlagen Sie bei Sigmund Freud nach. Dann wissen Sie, was ich meine.«
»Das werden wir tun. Und bis nicht alle ungeklärten Fragen beantwortet sind, lastet weiter auf Ihnen ein Restverdacht.«
»Segen und Fluch der Gentechnik«, murmelte Alex.
»Das können Sie gerne so sehen. Sie haben offenbar weder den Wächter im Louvre getötet noch die Sicherheitstechnik des Museums ausgetrickst, aber auf Grund der Ähnlichkeit des genetischen Fingerabdrucks könnten Sie eine Komplizin oder zumindest Mitwisserin sein. Vor allem deshalb muss ich Sie bitten, die Stadt bis auf weiteres nicht zu verlassen und sich den ermittelnden Behörden weiter zur Verfügung zu halten.« Longfellow blickte demonstrativ auf seine Armbanduhr. »Alles Weitere können wir später besprechen. Ich muss jetzt los. Der Einbruch in der National Gallery. Sie verstehen.«
»Natürlich.« Alex nickte. Da war es wieder: das Monsterding.
Longfellow klingelte Sturm, um die Wärterin herbeizurufen. Als er den Besucherraum verließ, sah es aus wie eine Flucht.
Ein paar Tage Gefängnis können das Gesicht einer Stadt stärker verändern als zehn Jahre Bauboom. Als Alex mit dem Taxi nach Hause fuhr, kamen ihr Londons Straßen und Plätze irgendwie weiter vor, heller und freundlicher. Longfellows Blick würde sie so schnell nicht vergessen. Es hatte den Anschein gehabt, als ob er alles über sie wusste.
Vom Frauengefängnis bis zu ihrem Haus in Camden Town waren es nur wenige Minuten. Sie schwieg die ganze Zeit. Wenn der Fahrer nicht gerade auf den Verkehr achtete, musterte er sie im Rückspiegel. Vermutlich überlegte er, ob sie eine Kriminelle war. Und noch etwas
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