Die Galerie der Lügen
Oberkörper zurück.
Ihr Parfüm duftete nach herben Kräutern. Kein typisch weiblicher Geruch, dachte Darwin, ehe er sich besann und ebenfalls auf Abstand ging. Er deutete verlegen lächelnd zum Himmel. »Entschuldigen Sie bitte, Ms Daniels, aber der Regen – ich hab nur Schutz gesucht. Erst mal guten Tag.«
Sie erwiderte ernst den Gruß und beäugte ihn dabei, als vermute sie einen anderen hinter dem bekannten Gesicht. »Und was ist der Grund Ihres Überfalls?«
»Sie haben ja schon von dem jüngsten Raub in der National Gallery gehört.« Darwin spielte auf die »Galerie der Lügen« an.
»Geht gerade durch alle Medien.«
»Woran Sie nicht ganz unbeteiligt sind.« Er hatte versucht, es nicht wie einen Vorwurf klingen zu lassen.
»Ich sagte doch, dass die Serie von Einbrüchen weitergehen wird. Das Urteil des Paris entspricht genau dem, was zu erwarten war.«
»Sie haben mit dem Raub genau dieses Bildes gerechnet?«, fragte Darwin erstaunt.
»Nein. Aber im Nachhinein erscheint es mir logisch.«
»Wussten Sie, dass es in der National Gallery noch ein zweites Gemälde von Rubens zum gleichen Thema gibt?«
»Ja. Im Telegraph waren heute morgen beide abgebildet. Aber das andere Gemälde hätte nicht gepasst.«
Darwins Mund blieb offen stehen. Ohne sich dagegen wehren zu können, sah er, wie Daniels seine Verblüffung auskostete. Ihre violetten Augen weideten sich an dem vermutlich dümmlichen Ausdruck auf seinem Gesicht, und ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem amüsierten Schmunzeln. Schließlich ließ sie ihn wieder frei.
»Sagte ich Ihnen nicht in Holloway, dass Sie sich in die Köpfe dieser Menschen hineinversetzen müssen?«
Immer noch benommen, nickte er. »Ja, aber ehrlich gesagt…« Er rang nach Worten, wollte nichts von sich geben, das sofort wieder eine Barriere zwischen ihnen errichtet hätte.
»Ehrlich gesagt, haben Sie mein Gerede für Schwachsinn gehalten«, half sie ihm aus.
» › Nicht leicht nachvollziehbar ‹ wäre vielleicht eine passendere Umschreibung. Bitte erklären Sie mir, wieso der oder die Einbrecher Rubens’ erstes › Parisurteil ‹ gestohlen und das andere zurückgelassen haben.«
»Ganz einfach. Wegen der Tauben.«
»Wie bitte?« Darwins Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Meines Wissens nach hat die Polizei gegenüber der Presse nichts von der tönernen Taube erwähnt.«
»Sie ist aus Ton?«
Er blinzelte. »Sie haben doch eben…«
»Ich habe nur angenommen, dass der Dieb am Tatort eine Taube zurückgelassen hat, aber ich wusste von dem Vogel in Magrittes Unachtsamem Schläfer. Dieses Motiv zieht sich durch die ganze Aktion. Es fängt schon bei der Auswahl des Museums an. Die National Gallery steht am Trafalgar Square. Kaum ein Ort auf der Welt – abgesehen vom Markusplatz in Venedig vielleicht – wird so mit Tauben assoziiert wie dieser. Aber das ist für den Dieb wohl nur das Ausrufungszeichen hinter seiner Botschaft gewesen. Sie wollten wissen, warum er ausgerechnet den jüngeren Rubens gestohlen hat? Ganz einfach. Nur in diesem Urteil des Paris sind Tauben zu sehen, auf dem anderen dagegen gibt es keine einzige.«
»Das stimmt«, flüsterte Darwin benommen. Warum war ihm das nicht aufgefallen? Er kam sic h vor wie ein begossener Pudel – in jeder Beziehung.
»Sind Sie jetzt bereit, mir zuzuhören?«, fragte Daniels.
Er lächelte. »Gerne. Aber wäre es möglich, das Gespräch unter einem Dach fortzusetzen?«
Zu seinem Erstaunen zögerte sie. Fast so, als sei ihr bisher gar nicht der Gedanke gekommen, ihr Refugium für einen Fremden zu öffnen. »Selbstverständlich«, sagte sie schließlich, aber es hörte sich eher nach einem Wenn-es-denn-sein-muss an. Sie gab den Durchgang frei und deutete mit der Rechten ins Haus.
Darwin trat ein. Sofort schloss und verriegelte sie hinter ihm die Tür. Er nutzte den Moment, um einen Blick ins Innere des Hauses zu werfen. Es war ziemlich modern: weißer Marmorboden, Glasbausteine, Halogenlampen – ein ebenso schlichtes wie lichtes Ensemble, dessen klare Formen ihn irgendwie an die Chefetage von ArtCare erinnerten.
»Können Sie mir einen Gefallen tun, Mr Shaw?«
Darwins Aufmerksamkeit kehrte zu seiner Gastgeberin zurück. »Was immer in meiner Macht steht.«
»Bitte schalten Sie Ihr Handy aus.«
Er stutzte. »Woher wissen Sie, dass ich überhaupt eins dabeihabe?«
»Schon vergessen, was im Gefängnis war?« Sie runzelte die Stirn und seufzte. »Ich kann es spüren. Es ist in der Aktentasche unter Ihrem Arm.
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