Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
englische Art, sich im Straßenverkehr zu bewegen, aber der Fahrer des grünen Sportwagens befand sich auch in einem seelischen Ausnahmezustand. Wenn die Diebe in dem Tempo weiterklauten wie bisher, würde die stolze Jacht »ArtCare« bald Schiffbruch erleiden und er selber sich in die Schlange beim Arbeitsamt einreihen.
    Östlich des Regent’s Park fuhr Darwin die Albany Street hinauf, bog anschließend rechts in den Parkway ein und gelangte damit nach Camden Town. Was Greenwich Village für New York, das linke Seineufer für Paris oder Kreuzberg für Berlin bedeutete, das war Camden für die britische Hauptstadt. Das bunte Künstlerviertel glich einem Haufen angeschwemmter Muschelschalen zwischen den kalkweißen Klippen der Herrenhäuser von Regent’s Park und dem Häusermeer auf dem Weg nach Euston.
    Regen setzte ein, anfangs nur ein leises Tröpfeln auf dem Stoffverdeck, aber der sich zunehmend verdunkelnde Himmel verhieß nichts Gutes. Während Darwin die Camden Road hinauffuhr, rief er sich noch einmal das von Dr. Simmons skizzierte Täterprofil in den Sinn. Der Kopf hinter den Museumseinbrüchen suchte die Kommunikation mit der Außenwelt, was eventuell auf ein übersteigertes Mitteilungs- und Geltungsbedürfnis hinwies. Er wollte Kontrolle ausüben, seine Macht beweisen. Und war eher penibel als unordentlich. Darwin betätigte den linken Blinker und bog in den Rochester Place ein.
    Es dauerte eine Weile, bis er ein Stück unverstellte Straße gefunden hatte, auf dem kein gelber Streifen das Parken verbot.
    Er fluchte innerlich, weil er irgendwo seinen Regenschirm stehen gelassen hatte. Als Notbehelf hielt er seine Collegemappe über den Kopf, in der er unter anderem die neuesten Tatortfotos und Ermittlungsberichte aufbewahrte. Über feucht glänzendes Kopfsteinpflaster lief er zu den Rochester Mews zurück.
    Die mews houses, Stadthäuser in meist stillen Nebenstraßen, waren begehrt in London. Hinter den Fassaden der geräumigen Pferdeställe, die sie in einem früheren, oft als »golden« bezeichneten Zeitalter gewesen waren, verbargen sich nicht selten ultramoderne Wohntempel. Alex Daniels lebte also in einem dieser viktorianischen Schmuckstücke. Bemerkenswert. Der Detektiv in Darwins Seele fragte sich, wie eine freie Wissenschaftsjournalistin ein solches Anwesen finanzieren konnte.
    Das graubraune Backsteinhaus war zwar nicht riesig, aber für eine einzelne Person mehr als ausreichend. Zur Straße hin besaß es auf der linken Seite eine faltbare Garagentür mit Sprossenfenstern. Sie bestand, ebenso wie der Eingang in der Mitte, aus braunem Holz. Im Erdgeschoss blickten drei eher kleine, weiß gerahmte, in sich unterteilte Fenster auf die Straße hinaus. Im Stockwerk darüber waren fünf solcher »Augen« zu sehen. Das Dach hatte graue Ziegel. Darwin betätigte den Klingelknopf neben dem Eingang.
    Im Haus blieb es still.
    Er blickte nach oben, vorbei an der Laterne, die über der Tür hing. Regentropen fielen auf sein Gesicht. Hinter den gardinenlosen Fenstern war nirgends ein Lebenszeichen auszumachen. Wegen der starken Spiegelungen ließ sich allerdings nicht viel erkennen: hier ein grüner Kaktus, dort ein gläserner Kerzenständer mit rotem Wachslicht. Hatte sich die Journalistin tatsächlich aus dem Staub gemacht? Irgendwie konnte er daran nicht glauben.
    Er läutete ein zweites Mal.
    Am Morgen hatte ihm Becky Hampton – die gute Seele in seinem Team – mit der täglichen Dosis Donuts einen Stapel Tageszeitungen auf den Schreibtisch gelegt. Auf Darwins verwunderte Nachfrage antwortete sie: »Die bringen alle was von deiner Freundin.«
    Damit war Alex Daniels gemeint. Beim Lesen der Artikel wurde ihm klar, dass die Journalistin sich nicht in stillem Leiden erging. Sie wollte Genugtuung. Vielleicht auch Rehabilitation. Immerhin hatten die Gazetten einige Tage zuvor teils unsachlich, manchmal sogar hämisch über ihre Verhaftung berichtet. Weil die Presse gewöhnlich wenig Neigung zeigt, eine Story, die »durch ist«, noch einmal aufzuwärmen, hatte Daniels ein obskures Szenario entworfen. So jedenfalls empfand Darwin die meisten Beiträge.
    Offenbar hatte die sich als Dissidentin aufspielende Frau noch am Tag ihrer Freilassung Pressemitteilungen an alle großen Zeitungen verschickt. Darwin war sich dessen ziemlich sicher, weil in den unterschiedlichen Blättern viele Formulierungen, manchmal sogar ganze Absätze bis aufs i-Tüpfelchen identisch waren, obwohl die Redakteure meist ihre eigenen Kürzel

Weitere Kostenlose Bücher