Die Galerie der Lügen
schnell. Terri Lovecraft schien eine Unberührbare gewesen zu sein, und wer nach ihr fragte, lud ihren Bann auch auf sich. Alex hatte nicht einmal die Hälfte der Häuser in der kleinen Schleife von Maitland Close abgeklappert, als ihre Courage sich bedrohlich dem Nullpunkt näherte.
»Noch ein Versuch«, murmelte sie. Aber diesmal wollte sie es richtig machen, nicht mehr so mechanisch wie an den Türen davor. Alles würde davon abhängen, ob sie die Person, die ihr öffnete, richtig einschätzte. Wenn diese sie dann wieder wie Abschaum behandelte, würde sie den Makler aufsuchen – mehr Ablehnung konnte sie nicht verkraften.
Sie wählte ein x-beliebiges Haus am Ende des Straßenrondells aus und schritt mit verhaltener Entschlossenheit darauf zu. Auf der kleinen Vortreppe verließ sie fast der Mut. Aber dann drückte sie nach einem tiefen Atemzug doch den Klingelknopf.
Augenblicklich wurde die Tür aufgerissen.
Im Rahmen stand eine Endsechzigerin mit blaugrau schimmerndem Haar und erstaunlich faltigem Gesicht. Ihre Lippen waren mit erheblichen Mengen grellroten Farbstoffes auf doppelte Größe ausgemalt. Künstliche Wimpern enormer Länge klimperten Alex an.
Sie lächelte. »Guten Morgen – « , um nichts falsch zu machen, überprüfte sie noch einmal das Namensschild –, »Mrs Axelrod. Ich bin Alex Daniels. Sie sind bestimmt genauso beschäftigt wie Ihre Nachbarn, deshalb möchte ich mich kurz fassen. Sie trifft keine Schuld an dem, was da mit Ihrer Nachbarin passiert ist, und ich bin die Letzte, die so etwas behaupten würde.«
Die alte Dame schaffte es tatsächlich, noch mehr Runzeln auf ihre Stirn zu zaubern. »Wovon reden Sie überhaupt?«
»Na von der Polizei.«
Die blutroten Lippen klafften auseinander. »Polizei?«
»Ja. Aber Sie können nichts dafür. Das wollte ich Ihnen nur sagen, bevor…«
»Hören Sie, junge Frau, ich bin mein Leben lang nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten«, erboste sich Mrs Axelrod.
»Das glaube ich Ihnen gerne. Aber Sie haben bestimmt am Montag mitbekommen, wie die Kriminalpolizei hier überall herumgeschnüffelt hat, um Beweise für die Anklage zu finden.«
»Anklage?«
»Ja. Wegen gemeinschaftlichen Totschlags.«
»Um Himmels willen!« Mrs Axelrod zeigte Anzeichen von Panik. »Die denken doch nicht,… wir hätten irgendetwas mit Terris Selbstmord zu tun?«
Alex seufzte herzerweichend und kam sich vor wie eine Heuchlerin. »Wem sagen Sie das! Sie wissen ja, wie die Polizei ist: Hauptsache, die können jemanden verurteilen; ob derjenige schuldig ist, interessiert sie nicht.«
»Aber wie kommen die darauf, ausgerechnet eine unbescholtene Frau wie mich zu verdächtigen?« Mrs Axelrod legte theatralisch eine Hand mit fünf langen, gebogenen, ausfallend unecht anmutenden Fingernägeln auf ihre Brust.
»Wie gesagt, der Vorwurf richtet sich nicht gegen Sie allein.
Terri Lovecrafts tragisches Schicksal kann wohl kaum mit der seelischen Grausamkeit einer einzelnen Person begründet…«
»Sagen Sie das nicht!«, unterbrach Mrs Axelrod die Besucherin.
»Was meinen Sie damit?«
»Bestimmt steckt dieser junge Mann dahinter, der sie öfters abgeholt hat. Wenn ein Mensch sich ständig umpolen lässt, muss ja was zurückbleiben.«
»Der junge Mann – war das ihr Freund?«
»Sah eher aus wie ihr Cousin. Die beiden hätten Geschwister sein können, so ähnlich waren sie sich. Jedenfalls ist er halt öfter hier mit seiner teuren Limousine aufgekreuzt und hat sie abgeholt. Mehr weiß ich auch nicht.«
Alex’ Rachen trocknete schlagartig aus, nachdem sie von dem »Cousin« gehört hatte. Es kostete sie erhebliche Mühe, äußerlich ruhig zu bleiben. »Sie sagten, er habe sich mehrmals… › umpo len ‹ lassen. Das… verstehe ich nicht.«
»Nein. Nicht der Junge. Terri hat sich ständig… Das ist eine unerfreuliche Sache. Aber die Lovecrafts waren schon komische Leute, als sie hierher gezogen sind.«
»Wann war das?«
»Ende der Achtziger, wenn mein Gedächtnis mich nicht verlässt. Aber mein Gedächtnis ist sehr gut. Harry, mein verblichener Mann, meinte immer…«
»Entschuldigung, Mrs Axelrod, aber warum fanden Sie die Lovecrafts von Anfang an merkwürdig? «
»Na, wegen ihrem Verhalten. Und wegen ihrem Kleinen. Sie hatten so ‘n hübsches Balg, das hier alle ganz niedlich fanden. Aber die Lovecrafts blieben ziemlich für sich. Kapselten sich völlig ab. Sogar nach dem Gottesdienst machten sie sich immer ziemlich schnell vom Acker. Und ihren kleinen Terry
Weitere Kostenlose Bücher