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Die Galerie der Lügen

Titel: Die Galerie der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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und sah sie mit einem erstaunten Ausdruck an.
    Du musst ihr helfen! Alex wankte zwischen diesem Gedanken und dem Selbsterhaltungstrieb, der ihr weiterhin Vorsicht gebot. Offenbar hatte die Klinge das Herz ihrer Widersacherin verfehlt. Vielleicht war sie noch zu retten…
    Während die Siegerin des Zweikampfes die am Boden Liegende anstarrte, packte diese den Griff, zog das Messer aus der Wunde und schleuderte es in ihre Richtung.
    Alex konnte dem nicht sehr genauen Wurf mühelos ausweichen. »Warum hassen Sie mich so?«, stieß sie wütend hervor. Eine furchtbare Erkenntnis dräute an ihrem Bewusstseinshorizont: Du hast eine Bluttat begangen.
    »Weil du mein Kind getötet hast«, ächzte die Furie.
    Blut gab es fürwahr eine ganze Menge. Ihr Mantel färbte sich davon noch dunkler, als er ohnehin schon war. Auch am Boden bildete sich bereits eine Lache. Alex überwand ihre Furcht, kehrte zu der Verletzten zurück, kniete sich neben ihr aufs Pflaster und begann damit, den Mantel aufzuknöpfen.
    »Was tust du, Kevin?«, fragte die Frau erstaunt. Überraschenderweise war der Hass aus ihrer Stimme verschwunden.
    »Ich hab mal gehört, man muss als Erstes die Blutung stillen. Warum nennen Sie mich Kevin?«
    »Weil das dein Name ist.«
    »Unsinn! Ich heiße Alex. Alex Daniels.« Trotzig riss sie das Stirnband von ihrem Kopf.
    Ins Gesicht der Verletzten zog ein Ausdruck des Entsetzens, wie man ihn gelegentlich bei Menschen sieht, die zu spät einen nicht wieder gutzumachenden Fehler bemerken. »Du bist nicht Kevin! Du bist die andere… aus der Zeitung…«
    Alex hatte inzwischen die stark blutende Wunde freigelegt. Im Fernsehen hätte sie beim Anblick einer solchen Verletzung vermutlich sofort den Kanals gewechselt, aber jetzt dachte sie nicht über den grausigen Anblick nach. Rasch zog sie das Sweatshirt über den Kopf und presste es auf das sprudelnde Loch.
    »Ich muss Hilfe rufen. Wo haben Sie Ihr Handy?«
    »Woher…?«
    »Ich kann es spüren. Ist es in der rechten Manteltasche?«
    »J-ja.« Die Antworten der Verletzten wurden immer schwächer.
    Alex hätte vor hilfloser Verzweiflung am liebsten geschrien, stattdessen zog sie mit der Linken das Mobiltelefon aus dem Mantel, während sie mit der anderen Hand weiter gegen die Blutung ankämpfte. Sie wählte die Notrufnummer. Die Stimme eines Mannes meldete sich.
    »Auf dem Gelände des Royal Observatory im Greenwich Park liegt eine Frau mit einer Stichwunde in der Brust. Sie blutet stark! Bitte kommen Sie schnell! Wenn’s geht, mit einem Hubschrauber. «
    Ehe der Mann von der Notrufzentrale noch etwas fragen konnte, hatte sie schon wieder aufgelegt. Ein verrückter Einfall sprang sie an: Sie sollte weglaufen, sonst würde man sie für die Schuldige halten. Am Ende hätte Detective Superintendent Longfellow doch noch seine Mörderin.
    Erbost verscheuchte sie den Gedanken. Solche Überlegungen mochten in Hollywood-Streifen dafür herhalten, den Helden in irgendwelche haarsträubende Szenarien zu stoßen. Warum rufst du nicht die Polizei? Weil die dir sowieso nicht glauben. Weil da alle gegen dich sind. Weil die bestochen werden. Weil… Alex schüttelte trotzig den Kopf. Das wahre Leben funktionierte nach anderen Regeln.
    »Bleiben Sie wach! Gleich kommt Hilfe«, sagte sie aufmunternd zu der Frau, deren Gesicht erschreckend blutleer war. »Ich kann mich nicht mehr an Ihren Namen erinnern…«
    »D’Adderio. Ich heiße Neide D’Adderio.«
    »Sie haben eben wie eine Löwenmutter für Terri Lovecraft gekämpft. Wieso, Mrs D’Adderio?«
    »Weil Terri mein Kind ist.« Die Antwort klang auffallend sanft, zugleich aber auch besorgniserregend leise.
    Alex spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. »Bleiben Sie bei mir, Mrs D’Adderio«, flehte sie. »Reden Sie mit mir. Warum die unterschiedlichen Namen?«
    »Weil ich… Angst hatte. Ist mein… Mädchenname.«
    »Wovor haben Sie sich gefürchtet?«
    »Vor dem Tod.«
    Alex erschrak, als das Wort sie mit trotziger Wucht traf. »Sind Sie bedroht worden oder…?«
    »Meinen Timothy hat er umgebracht!«, fiel Mrs D’Adderio ihr ins Wort.
    »Ihren Mann?«
    »Ja. Er ist in der Themse ertrunken, soll sich von der Tower Bridge gestürzt haben. Das hätte er nie…« Mrs D’Adderios Stimme versiegte.
    »Und was ist mit Terri passiert?«
    »Sie ist mit dem Auto…«
    »Davon habe ich in der Zeitung gelesen, Mrs D’Adderio. Ich meine vorher. Ihre Nachbarin sagte, da sei immer ein junger Mann gekommen, der Terri sehr ähnlich

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