Die Galerie der Lügen
Verlangen die National Crime Squad, namentlich Detective Superintendent Mortimer Longfellow, ein.
Auf der Fahrt nach Camden Town hatte der Kriminalbeamte nicht viel geredet, was Alex vollkommen recht war. Sie konnte riechen, wenn sich jemand in ihrer Gegenwart unwohl fühlte. Bei Longfellow stank es geradezu.
Dennoch hatte er sie vor einer erneuten Untersuchungshaft bewahrt, denn die Beamten der Mordkommission hätten sie allzu gerne wieder durch die Mühle von Holloway geschickt. Longfellows Kollegen sahen dann aber ein, dass eine kaltblütige Mörderin kaum einen Rettungshubschrauber angefordert hätte.
Auf Anraten des Kommissars wurden zwei Zivilpolizisten zur Maitland Close geschickt, um Margaret Axelrod in die Mangel zu nehmen.
Die Witwe sah in dem Erscheinen der Polizei ihre von Alex geschürten Ängste bestätigt und legte ein umfassendes Geständnis ab: Ja, sie habe gesehen, wie der kleine Tommy von Mrs D’Adderios Haus herübergekommen sei und Ms Daniels den Zettel überreicht habe. Ja, Mrs D’Adderio sei am Abend darauf in reichlich verstörtem Zustand an ihrer Tür erschienen und habe wirres Zeug geredet. Und ja, man hätte die arme Terri Lovecraft vielleicht ein wenig freundlicher behandeln können – aber wie sei das möglich bei einem Menschen, der sich nicht zwischen Er und Sie entscheiden kann?
Longfellow vermied den direkten Blickkontakt, als er seinen Ford vor dem Stallhaus angehalten hatte und darauf wartete, dass Alex ausstieg.
»Danke«, sagte sie.
Er druckste einen Moment herum, als wolle er irgendetwas Nettes sagen, wusste aber nicht wie. »Wenn Sie wirklich so selten das Haus verlassen, wie Sie in Ihren Vernehmungen immer beteuern, dann haben Sie ein seltenes Talent, sich in Schwierigkeit zu bringen.«
Sie blickte nur in das ernste schwarze Gesicht, konnte aber nichts erwidern. Ihr Kopf war wie leergefegt. Die blutige Episode am Morgen, der unerträgliche Gedanke, womöglich die eigene Mutter getötet zu haben, und die stundenlangen Verhöre – das alles war zu viel gewesen.
»Kommen Sie zurecht?«, fragte Longfellow.
Alex nickte. »Geht schon.«
»Reden Sie sich nicht ein, Sie hätten versagt. Der Notarzt meinte, bei so einer Verletzung der Milz hätte er daneben stehen und trotzdem nichts mehr für die Frau tun können. Da verblutet man innerhalb weniger Minuten.«
»Können Sie mir einen Gefallen tun, Detective?« Es kostete Alex die letzte Kraft auszusprechen, was ihr seit der Verhaftung durch den Kopf ging.
»Kommt drauf an.«
»Sie sind jetzt ja darüber im Bilde, weshalb ich nach Greenwich gefahren bin. Ich will wissen, wer ich bin. Woher ich komme.«
»Das würde wohl jedem so gehen.«
»Deshalb muss ich erfahren, ob Neide D’Adderio meine leibliche Mutter war.«
»Würde es Ihnen genügen zu wissen, ob Terri Lovecraft und Sie Geschwister gewesen sind?«
Alex runzelte die Stirn. »Wissen Sie es denn?«
»Nein. Aber ich habe gerade die Genehmigung für die Exhumierung der Leiche bekommen. Wir werden eine DNA-Analyse durchführen und könnten das Ergebnis mit Ihrem genetischen Fingerabdruck vergleichen.«
»Das würden Sie für mich tun?«
Longfellow wand sich unbehaglich. »Es wäre nicht ganz uneigennützig. Wir haben immer noch nicht die Identität der Leiche vom Louvre geklärt. Vielleicht war die verunglückte Autofahrerin gar nicht Terri Lovecraft.«
Alex biss sich auf die Unterlippe. Woher Longfellow wohl diese Theorie hatte? »Und was ist mit Mrs D’Adderio? Sie hat so überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihrer angeblichen Tochter, von der sie aber sagt, wir seien Geschwister. Angenommen, Terri Lovecraft wurde in vitro gezeugt und Mrs D’Adderio war nur ihre Leihmutter, dann könnte es für Sie doch interessant sein, wer die richtigen Eltern waren.«
»Wie der Name schon sagt: Leihmütter verleihen ihre Gebärmutter, aber sie müssen die Kinder nach der Geburt abgeben.«
»Das ist doch Haarspalterei, Detective. Sie wissen so gut wie ich, dass in unserem Land tagtäglich unfruchtbare Frauen dieselbe Prozedur über sich ergehen lassen und das Kind behalten dürfen. Wenn dann auch noch Sterilität beim Ehemann hinzukommt, sind die Eltern nicht einmal mit ihrem Nachwuchs verwandt.«
»Ist aber seltsam, dass Mrs Lovecraft alias D’Adderio nur eines der Kinder aufgezogen hat.«
»Vielleicht wäre sie mit Drillingen überfordert gewesen.« Es gab noch eine andere Möglichkeit, aber die auszusprechen wagte Alex nicht. Die Human Fertilisation & Embryology
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