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Die Galerie der Nachtigallen

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Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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eines gestrandeten Wales.
    »Gott sei
Dank!« prustete er. »Gott sei Dank dafür,
daß wir wieder draußen sind. Bete zu deinem Gott und zu
allen anderen, die du kennst, daß du niemals Fitzosbert in
die Finger gerätst und in einer dieser gottverlassenen Zellen
landest.«
    Er schaute hinauf zu
dem großen Turm, der über ihm wie ein Riese
drohte.
    »Wenn es nach
mir ginge, ich würde den ganzen Bau bis auf die Grundmauern
niederbrennen und Fitzosbert an einen himmelhohen Galgen
hängen. Aber jetzt komm, Bruder- Whitefriars und das Haus
Springall erwarten uns.«

Kapitel 6
    Sie holten ihre Pferde
und wanderten die Fleet Street hinunter auf das hohe weiße
Kalksteingebäude von Whitefriars zu; auch hier war das
Gedränge so groß, daß sie ihre Pferde am
Zügel führen mußten.
    »Glaubt Ihr,
Solper hat recht, was Springall angeht?« fragte
Athelstan.
    Sir John nickte.
»Ich hatte mir so was gedacht. Viele Männer haben diese
Neigungen. Aber du kennst ja das Urteil für ein solches
Verbrechen: Man wird gekocht, bei lebendigem Leibe in einem
großen Faß über einem tosenden Feuer in Southwark.
Kein normales Ende für einen mächtigen Londoner Kaufmann!
Daher die Geheimniskrämerei, und daher vielleicht auch der
böse Streit mit Brampton, die ziemlich weibischen Manieren
dieses Buckingham und die Tatsache, daß Sir Thomas nicht bei
seiner Frau schlief.« Er warf dem Bruder einen hinterlistigen
Blick zu. »Ein solches Weib! Ein solcher Leib! Da läuft
einem das Wasser im Mund zusammen. Warum sollte ein echter Mann
sich solchen Freuden verschließen? He!«
    Er blieb kurz stehen,
um einem Gaukler zuzusehen. »Springall führte, wie viele
Männer«, fuhr er fort und ging weiter, »ein
öffentliches Leben und ein privates Leben. Ich habe den
Verdacht, daß wir, würde der Vorhang einmal wirklich
beiseite gezogen, einen stinkenden Misthaufen
finden.«
    Er deutete auf die
großen Häuser zu beiden Seiten, die vier Stockwerke hoch
waren und die heiße Nachmittagssonne verdeckten. »In
jedem dieser Häuser gibt es Schande und Sünde, Säumnisse und
Schwächen. Es heißt sogar«, und scherzhaft
stieß er Athelstan in die Seite, »daß es Laster
wie die, denen Springall nachging, auch in Klöstern und unter
Ordensbrüdern gibt. Was hältst du davon, Bruder,
hm?« »Ich würde sagen, Priester sind Menschen wie
alle anderen, wie Rechtsanwälte oder auch Coroner, Sir John:
sie haben ihre Schwächen. Und wäre nicht Gottes
Barmherzigkeit...« Athelstan ließ den Satz unvollendet.
»Aber warum sind wir hier?« fragte er ärgerlich,
als er merkte, daß sie in die Nähe des großen
Karmeliterklosters kamen.
    Cranston berührte
seinen Arm und deutete auf die hintere Ecke, jenseits des
großen Tores. Ein ausgemergelter Bursche mit kohlschwarzem
Haar, schmalen Lippen und großen, grüblerischen Augen
fesselte des Bruders Aufmerksamkeit. Der Mann war ganz in Schwarz
gekleidet, und sein Mantel war mit phantastischen Symbolen bedeckt,
mit fünfzackigen Sternen, Monden und Sonnen; auf dem Kopf
thronte ein spitzer Hut. Vor sich hatte er eine große
Segeltuchplane ausgebreitet, auf der verschiedene Phiolen und
kleine Tiegel lockten. Jetzt stand er bewegungslos da, und sein
Aussehen lockte die Menschen an.
    »Gib
acht!« wisperte Cranston. »Der Bursche wird uns nachher
den Weg zeigen.«
    Der Mann zog zwei
kleine Pfeifen hervor, steckte eine in jeden Mundwinkel und begann
eine merkwürdig eindringliche Melodie zu spielen. Dann steckte
er die Instrumente wieder ein und hob seine kräftigen
Hände.
    »Ladies und
Gentlemen, Ritter, Höflinge, Mitglieder der Gilde!« rief
er; dann gewahrte er Athelstan und fügte hinzu:
»Ordensbrüder, Priester, Bürger von London! Ich bin
Doctor Mirabilis. Ich habe in Byzantium und Trezibond studiert und
bin über Land gereist bis zum großen Khan der Tataren.
Ich habe Flotten von Schlachtschiffen im Schwarzen Meer gesehen und die
Kriegsgaleonen des Kaspischen Meeres. Ich habe gespeist mit der
Goldenen Horde des Dschinghis-Khan. Ich habe Wüsten durchquert
und sagenumwobene Städte gesehen, und auf meinen Reisen habe
ich so manches Geheimnis und Mysterium
kennengelernt.«
    Seine Behauptungen
wurden mit brüllendem Gelächter aufgenommen. Cranston und
Athelstan schoben sich ein wenig näher. Ein Lehrling von einem
nahen Stand holte ein Ochsenhorn, schöpfte damit schmutziges
Wasser aus einer Regentonne und begann, den Magier zu bespritzen.
Doctor Mirabilis kümmerte sich nicht um ihn, sondern hob die
Hände, und

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