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Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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dem
Handgemenge - nicht so kundig wie Sir John, aber als der lange
Eschenstock ins Spiel kam, schuf er ebensoviel Verwirrung, wie er
Schaden anrichtete. Athelstan stand jetzt Schulter an Schulter mit
Cranston. Die beiden Angreifer wichen zurück.
    Cranston widerstrebte
es sehr, den Kampf einzustellen. »Und noch einmal, ihr
Bürschchen!« schrie er. »Nur noch einmal, und dann
eine Wunde, eine Verletzung! Wenn ich euch nicht umbringe, wird der
Henker es tun! Da könnt ihr sicher sein.«
    Der kleine
wieseläugige Kerl warf seinem Kumpan einen Blick zu, und ehe
der Coroner noch einen Schritt vortreten konnte, gaben beide
Männer Fersengeld und flohen. Cranston lehnte sich gegen die
Hauswand und wischte sich den Schweiß ab, der ihm in
Strömen über das Gesicht rann. Auch sein Wams war an
Brust und Achseln schweißfleckig. »Hast du gesehen,
Athelstan?« keuchte er und ließ die Schwertspitze zu
Boden sinken. »Das hast du gesehen, nicht wahr? Diese
Fechtkunst, diese Beinarbeit? Du wirst bei Lady Maude für mich
zeugen?«
    Athelstan
lächelte. Sir John sah sich als fahrenden Ritter, als
Kavalier, und seine kleine Frau Maude war seine Prinzessin.
»Ich hab’s gesehen, Sir John«, sagte er.
»Der geborene Soldat. Ein wahrer St. Georg. Ihr wart nicht in
Gefahr?« Cranston hustete und spuckte aus.
    »Durch die da?
Strauchdiebe, großmäulige Knaben, Abschaum, den ein
Truppenwerber verschmäht hat! Ich sage dir, Athelstan«,
und er schob sein Schwert in die Scheide,»ich habe in
Frankreich für den alten König, Gott segne ihn, gegen die
Creme der französischen Kavallerie gekämpft! Rasende
Löwen waren wir damals, und der Name Englands war
gefürchtet von der Nordsee bis zur Straße von Gibraltar.
In meinen Jugendtagen«, brüllte er und drückte die
Schultern martialisch zurück, »war ich scharf wie ein
Greyhound und schnell wie ein Falke, der auf seine Beute
herabstößt.«
    Athelstan verbarg sein
Lächeln und sah, wie der Schweiß noch über das
fette Gesicht des Coroners rann und der mächtige Bauch vor
Stolz und Zorn bebte. Selbstverständlich mußten sie in
der nächsten Taverne einkehren, damit Sir John eine
Erfrischung zu sich nehmen und seinen Schwertkampf, Schritt
für Schritt, Schlag für Schlag, noch einmal durchhecheln
konnte. Athelstan ließ sich nicht anmerken, wie sehr es ihn
belustigte, und lauschte so aufmerksam wie möglich.
    »Sir
John«, unterbrach er schließlich, »diese
Männer, diese Straßenräuber - die hat jemand
geschickt, nicht wahr? Die haben auf uns
gewartet?«
    »Ja.«
Cranston steckte seine feuerrote Nase noch tiefer in den Bierkrug
und schlürfte geräuschvoll. »Jemand hat sie hinter
uns hergeschickt. Das bedeutet, Bruder Athelstan, daß unsere
letzte Bemerkung im Haus Springall ins Schwarze getroffen hat. Der
Mörder weiß, daß wir ihm auf der Spur sind.
Vechey, Brampton und Allingham sind tot, und die Zahl der
Verdächtigen wird kleiner. Unsere Chance hingegen, den
Mörder ans Licht zu treiben, wächst. Aber wachsam
müssen wir bleiben, Bruder, denn er kann leicht noch einmal
zuschlagen.«
    Er stand auf und sah
sich in der Schänke um; Athelstan fragte sich, ob er jetzt
allen Anwesenden von dem Handgemenge in der Gasse erzählen
wollte.
    »Du kommst mit
mir nach Hause zu Lady Maude, Athelstan?«
    Athelstan
schüttelte den Kopf. Wenn er das täte, wäre der Tag
zu Ende. Cranston würde sich zur Feier seines Triumphes
betrinken und ihn zwingen, immer und immer wieder seinen gewaltigen
Sieg zu schildern.
    »Nein, Sir John
- ich bitte um Vergebung, aber diesmal nicht. Wir treffen uns
übermorgen. Die Einladung zum Turnier können wir nicht
ablehnen.«
    Cranston gab sich
widerstrebend geschlagen; sie verließen das Wirtshaus und
gingen ihre Pferde holen. Der Coroner blieb stehen und sah zu, wie
Athelstan den steinalten, aber gefräßigen Philomel
bestieg.   
    »Meine Lady
Maude wird mit zum Turnier kommen«, stellte er fest, und dann
blickte er zu dem Bruder hinauf und legte den Finger an die
fleischige Nase. »Du könntest ja diese Benedicta
mitbringen.« 
    Athelstan
errötete. Er wagte nicht, Cranston zu fragen, wieso er von
Benedicta wußte. Der Coroner lachte, und er brüllte noch
immer vor Heiterkeit, als Athelstan sein Pferd auf die Straße
hinaustrieb.
    Den Stock, den
Cranston ihm gekauft hatte, behielt der Ordensbruder. Auf dem
Heimritt kam er sich damit allerdings ein wenig albern vor - wie
ein Möchtegernritter auf dem Weg zu irgendeinem Turnier. Er
versuchte, das

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