Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Galerie der Nachtigallen

Die Galerie der Nachtigallen

Titel: Die Galerie der Nachtigallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
Vom Netzwerk:
Feuer brannte im Kamin. Das Zimmer, vielleicht ein
Schreibzimmer des Herzogs, war von einem langen Tisch beherrscht;
Stühle standen zu beiden Seiten, und ein thronartiger Sessel
mit hoher Lehne am Kopfende des Tisches. Der Majordomus ließ
Cranston und Athelstan allein, und sie betrachteten die exquisiten
Wandteppiche und einen kleinen Schrank voller Manuskripte, in
feinstes Leder und Velin gebunden. Ein Diener trat ein und brachte
Wein und Zuckerwerk, und Cranston machte sich augenblicklich
darüber her. Ein zweiter Diener erschien, ein junger Page, der
mit hoher Stimme verkündete, daß der Herzog die
Nachricht von Sir John erhalten habe und kommen werde, sobald es
die Umstände und das Protokoll zuließen.
    Eine Stundenkerze auf
dem Tisch unter dem Fenster war um einen vollständigen Ring
heruntergebrannt, ehe sie draußen Schritte hörten. Sie
erhoben sich, als Gaunt ins Zimmer gerauscht kam. Neben dem Herzog
erschien der kleine König. Onkel und Neffe waren beide in
goldgesäumte Purpurgewänder gehüllt. Der junge
König wirkte heiter, Gaunt hingegen zornig und besorgt, als
fürchtete er Sir Johns Botschaft. Er ließ sich in den
Sessel am Ende des Tisches fallen und befahl einem Diener, einen
ebensolchen für seinen Neffen zu bringen. Oberrichter
Fortescue kam wie eine Spinne hereingehuscht und nahm neben dem
Herzog Platz. Ihm folgte Sir Richard Springall mit seinem Haushalt. Der Kaufmann
war ziemlich betrunken und grinste Cranston und Athelstan zu, als
wären sie uralte Freunde. Dame Ermengilde streckte die Nase in
die Luft und beliebte sie zu ignorieren. Pater Crispin und
Buckingham lächelten knapp, während Lady Isabella ganz
offensichtlich aufgeregt war.
    »Sind nun alle
versammelt?« erkundigte Gaunt sich sarkastisch.
    Oberrichter Fortescue
schaute in die Runde und nickte. »Jawohl, Euer
Gnaden.«
    Athelstan sah,
daß ein stämmiger Wachsoldat hereingekommen war.
»Ich wünsche, daß dieses Gemach streng bewacht
wird!« befahl der Regent. »Niemand darf ohne meine
Erlaubnis herein oder hinaus. Hast du verstanden?«
    Der Mann nickte.
Athelstan hörte ihn draußen ein paar Befehle
brüllen; dann trappelten Schritte und klirrten Waffen. Er
betrachtete die Gruppe. Sir Richard war überraschend schnell
nüchtern geworden. Lady Isabella schaute zu ihm hinüber
und schlang nervös die Finger ineinander. Dame Ermengilde
starrte - königlicher Anwesenheit zum Trotz — die Wand
gegenüber an. Der Rest blickte unverwandt den Herzog an und
wartete ab, was diese Zusammenkunft zu bedeuten habe.
    Gaunt beugte sich vor;
die Juwelen an seinen sonnengebräunten Händen blitzten im
Kerzenschein.
    »Sir John,
Coroner der Stadt - ich bin erfreut, Euch zu sehen. Und obwohl Ihr
beim Bankett nicht zugegen wart, so ist es doch offensichtlich,
daß Ihr ordentlich getrunken habt. Ich hoffe, der Tag war
fruchtbar für Euch?«
    Der drohende Unterton
in den Worten des Herzogs entging Cranston nicht, und er warf
Athelstan einen Blick zu.
    Der Ordensbruder
neigte den Kopf vor dem Regenten und dem jungen König.
»Euer Gnaden, Lord Gaunt, man hat uns den Auftrag gegeben,
die wahren Gründe für den Tod Sir Thomas Springalls zu
erkunden und infolgedessen auch die Wahrheit über die anderen,
ebenso unglücklichen Todesfälle.« Er stand auf.
»Euer Gnaden, ich bitte Euch um Nachsicht, denn ich
möchte nun gern einen kleinen Mummenschanz aufführen,
eine nützliche Einführung zu dem, was wir darlegen
möchten.«
    Gaunt schaute den
Ordensbruder unwirsch an. »Was soll das,
Bruder?«
    »Ein Spiel,
Onkel!« Der junge König ergriff plötzlich das Wort,
und kindliche Freude verdrängte die majestätische Maske.
Er klatschte in die Hände.
    »Euer
Gnaden«, Gaunt lächelte seinen Neffen schmallippig an,
»vielleicht solltet Ihr besser nicht dabeisein ...?«
»Vielleicht aber doch!« zwitscherte der Junge
zurück. »Ich will dabeisein! Es ist mein
Recht!«
    Überrascht sah
Athelstan, wie altklug dieser Knabe war und wieviel Macht er,
seinen jungen Jahren zum Trotz, über seinen Onkel
hatte.
    Gaunt seufzte.
»Bruder, wir sind in deiner Hand. Aber ich warne dich.«
Er machte eine drohende Gebärde. »Vergeude nicht meine
Zeit und verwickle uns nicht in unnütze Possen. Ich will die
Wahrheit!«

Kapitel 10
    Athelstan deutete auf
die Tür. »Lord Gaunt, laßt uns so tun, als
schliefe hinter dieser Tür jemand, der Euch lieb und teuer
ist.«
    Gaunt funkelte ihn
an.
    »Die Tür
ist verschlossen, und Ihr wollt ihn nun aufwecken. Was würdet
Ihr

Weitere Kostenlose Bücher