Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
wie Sie bemerkt haben, kommt Gott mitunter ohne Vorwarnung über ihn«, erklärte er. »Bitte, Mr. Funk und Mr. Calas, wenn Sie mir folgen wollen, bringe ich Sie jetzt zur Halle der Proselyten. Sie befindet sich am anderen Ende des Palasts.«
Sie sprangen auf und rempelten sich gegenseitig in ihrer Eile an, dem weißgekleideten Führer durch die korallenroten Gänge zu folgen.
»Mr. Calas«, sagte der Ratsherr leise, während er sie um eine Ecke führte, »bitte nehmen Sie unser aufrichtiges und tief empfundenes Beileid zum Tod Ihres Bruders entgegen. Wir hatten gehofft, er würde schon bald nach Horeb kommen, um Adom zu prüfen.«
»Ihn zu prüfen?« fragte Ari.
»Ja, um seine Identität als der wahre, in den Schriften verheißene Mashiah zu bestätigen.« Ornias blieb abrupt stehen und lächelte. »Mr. Calas… Yosef… wissen Sie vielleicht, was aus dem Mea Shearim geworden ist? Sicher hatte Ihr Bruder es bei sich, als er starb. Hat er es jemand anderem gegeben, oder…«
»Mea? Was ist das?« unterbrach Ari ihn und blickte zwischen den beiden Männern hin und her.
»Das wissen Sie nicht?« erkundigte sich Ornias.
Beide schüttelten die betagten Häupter.
»Dann vergessen Sie einfach, daß ich es erwähnt habe. Es ist ohnehin nicht mehr von Bedeutung.« Ornias lachte leise und marschierte so schnell den Korridor entlang, daß Yosef laufen mußte, um Schritt zu halten.
Als sie um eine weitere Ecke bogen und einen rechteckigen Raum voller Springbrunnen und Statuen aus rosafarbenem Achat betraten, wurde Yosef langsamer und fiel zurück. Der Klang seiner Schritte wurde von den schwarz und gold gemusterten Teppichen gedämpft. Eine ganze Wand öffnete sich zu einem Panoramablick auf die fernen Berge. Zerklüftete rote Felsspitzen reckten sich empor, um den schildplattfarbenen Himmel zu durchbohren.
Was, so überlegte er sich, mochte einen Ratsherrn von Horeb am heiligen Tor zu einem Gott interessieren, an den er nicht einmal glaubte? Und was für Probleme hatten sich nach Zadoks Tod auf Kayan ergeben?
Zadok lehnte sich erschöpft gegen den schmalen Torbogen zum ersten Himmel und schaute zu Sedriel hinauf, der mit lässigem Flügelschlag durch die azurblaue Luft glitt. Der verachtenswerte Engel trug ein ausgesprochen hochnäsiges Lächeln zur Schau.
»Nun?« fragte Zadok mürrisch.
»Das waren keine siebenhundertundzwanzig.«
»Du kannst nicht zählen, du aufgeblasener Schwachkopf!«
»Reize mich nicht, Calas. Oder soll ich dich zurück ins Nichts schleudern?«
»Kennst du überhaupt irgendeinen dieser Namen, Sedriel? Oder hat man dir nur beigebracht, wie man an den Fingern abzählt?«
Das himmlische Wesen lächelte selbstgefällig. »Du bist das ignoranteste menschliche Wesen der gesamten Schöpfung, ist dir das klar, Zadok? Ich weiß gar nicht, weshalb Epagael deine Existenz überhaupt duldet.«
»Du blöder…«
»Ich dachte, du müßtest so schnell wie möglich zum Schleier? Willst du, daß dein eigener Zorn das vereitelt? Hm? Beleidige mich noch ein einziges Mal, und…«
»Schon gut, schon gut.« Zadoks Zorn verrauchte. Ausnahmsweise hatte Sedriel diesmal recht. Obwohl seine Kehle bereits schmerzte, holte er tief Luft. »Kebirion, Dorriron, Sebiroron, Zahiroron, Webidriron…«
Adom stand im von Kerzen erleuchteten Gebetsraum, lauschte aufmerksam und gab sich große Mühe, alles zu verstehen. Gott stand nur ein paar Schritte entfernt, und sein blauer Umhang flatterte bei jeder Bewegung.
»Yosef Calas kann dir eine große Hilfe sein, Adom. Behandle ihn gut. Führe ihn der Herde zu.«
»Ich versuche, jeden Menschen meines Volkes gut zu behandeln, Milcom. Ich liebe mein…«
»Ja, ja.« Der kristallene Gott seufzte und rieb sich die Stirn. »Ich weiß, ich weiß. Und so soll es auch sein.«
Adom krümmte sich, als er den gereizten Ausdruck auf Milcoms leuchtend goldenem Gesicht sah. »Es… es tut mir leid, Herr. Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein, Adom. Vergib mir. Ich bin heute in Eile, das ist alles. Ich glaube, jeder verdammte Engel im Himmel wettet im Moment gegen uns. Diese verräterischen…« Er warf den blauen Satinumhang zurück, stemmte die Hände in die Hüften und ging vor dem großen, umgedrehten Dreieck an der Wand auf und ab. »Ich spüre, wie sich eine Kraft aufbaut. Und ich weiß nicht, ob wir ihr begegnen können.«
»Ich verstehe nicht, Herr. Warum sollten die Engel uns aufhalten wollen? Wissen sie nicht, daß du uns alle vor dem verderbten Epagael zu
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