Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
Helfer auf magische Weise geschaffen haben. Wahrscheinlich würden wir sogar daran sterben!«
»Onkel…«
»Es stimmt. Und es ist mir gleich, ob du mir glaubst«, murmelte er, wandte den Kopf ab und starrte mit leerem Blick auf das Mauseloch in der Wand. Es war eine dunkle Öffnung, fast so groß wie eine Handfläche. Die Brust wurde ihm eng angesichts seiner Lüge. Natürlich war es ihm nicht gleich, ob sie ihm glaubte. Wie sollten sie Tartarus bekämpfen, wenn niemand seine wahre Natur kannte?
»Es tut mir leid, Onkel. Ich bin nur…« Ihr Kopf zuckte herum, als draußen Schritte erklangen. »Schnell! Blas die Kerzen aus.« Sie griff nach der einen, während er die andere löschte. Dann standen sie mit klopfendem Herzen da und warteten. War es ein Freund? Kam jemand, um sie am Shabbat-Abend zu besuchen?
Ein leises Klopfen ertönte an der Tür. »Myra, laß mich ein!«
»Sholmo? Ich komme.«
Talo hörte ihre Füße über den Boden huschen, und dann erhellte Mondlicht den Raum, als sie die Tür weit öffnete. Sholmo lehnte schwer atmend an der Wand. Sein dunkles Gesicht war von Angst gezeichnet, seine Augen weit aufgerissen. »Ich habe euch gewarnt«, rief er. »Verschwindet hier, schnell!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, huschte er in die Dunkelheit davon, und Myra schloß die Tür. »Schnell! Schnapp dir das Brot und deinen Mantel. Wir müssen fliehen!«
Rauhe Stimmen drangen von draußen herein, und Talo erzitterte, als ein Schuß aufpeitschte. Dann traten Stiefel eine Tür auf der anderen Straßenseite ein. »Sie sind hier! Schwärmt aus! Fangt sie!«
»O Gott, o Gott! Bitte laß ihn davonkommen!« flüsterte Myra und stolperte gegen einen Stuhl, als sie in die Dunkelheit flüchtete. Sie lief in Richtung einer Tür, die einst zum Schlafzimmer geführt hatte, nun aber einen Fluchtweg zur hinter dem Haus gelegenen Straße bot, sofern sie es schafften, sich einen Weg durch die verbrannten Balken und Trümmer zu bahnen, die sich dort auftürmten. »Onkel, bleib nicht stehen. Sie sind hinter uns her!«
»Ich muß meine Bücher holen. Ich kann sie nicht zurücklassen.«
Krachend flog die Eingangstür auf. Wachen stürmten mit erhobenen Gewehren in den winzigen Raum. Im Licht ihrer Helmscheinwerfer sah Talo Myra in der Schlafzimmertür stehen, das Gesicht zu einer Maske des Schreckens verzerrt.
»Die Hände hoch!« befahl ein blonder Sergeant.
»Ich … wir wollen keinen Ärger«, klagte Talo leise und hob zitternd eine Hand über den Kopf. »Was wollen Sie von uns?«
Verzweifelt wünschte sich Talo, ein paar Worte zu hören, die ihm Zuversicht einflößen konnten. Vielleicht würden die Männer ja sagen, sie wären nur gekommen, um Lebensmittel zu konfiszieren oder um nach Platin oder Titan zu suchen, das sie vielleicht versteckt hatten. Der Mashiah hatte angeordnet, alle wertvollen Metalle zu beschlagnahmen. Vielleicht waren die Wachen auch nur gekommen, um routinemäßig die sanitären Anlagen zu überprüfen oder um nachzufragen, wem das Maultier draußen gehörte.
Doch das grausame Lächeln auf dem Gesicht des Sergeants verriet Talo, daß sich das Firmament öffnen und alles verschlingen würde, was ihm teuer war.
»Ihr schmutzigen Bauern«, sagte der Soldat verächtlich und schaute erst ihn und dann Myra angewidert an. »Jeder von euch darf ein Bündel auf dem Rücken tragen. Packt Essen ein, vielleicht auch etwas warme Kleidung. Mehr nicht.«
»Wohin bringen Sie uns?«
»In den Himmel«, meinte er spöttisch. »In den Himmel, damit ihr dort Epagaels Perlentore wieder aufbauen könnt.«
»Was soll das bedeuten?«
Als der graugekleidete Soldat nicht antwortete, blickte Talo zu seiner Nichte hinüber. Myra erwiderte seinen Blick aus angsterfüllten Augen, als hielte sie ihn für verrückt, überhaupt irgendwelche Fragen zu stellen. Plötzlich wurden seine Knie weich und er mußte sich auf den Tisch stützen. Vielleicht hatte er tatsächlich den Verstand verloren. Welcher neuerliche Schrecken erwartete sie? Welche Überraschung hatte der Mashiah sich diesmal für sie ausgedacht?
Draußen hörte er andere Wachen rufen: »Alle Epagael-Anbeter raus auf die Straße! Beeilung!« Drei kamen an seiner Tür vorbei und Talo sah, wie sie Freunde in die Dunkelheit trieben und mit ihren Knüppeln zuschlugen, wenn jemand Widerstand leistete oder hinfiel. Ihre Schläge trafen unterschiedslos jeden, bis sich die Schreie von Männern, Frauen und kleinen Kindern zu einer grauenvollen Symphonie des Elends
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