Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
Unruhestifter, doch wenn wir ihn hätten aus dem Weg schaffen wollen, hätten wir das schon vor vielen Jahren insgeheim erledigt. Morde in der Öffentlichkeit sind kaum von Vorteil.«
Sarah schaute ihn forschend an. War das die Wahrheit? Oder eine clevere Lüge? Sein Gesicht mit den dichten schwarzen Augenbrauen zeigte keinerlei Regung.
»Miss Calas«, fuhr er fort, »wir haben die charakteristischen gamantischen Persönlichkeitsstrukturen sehr gründlich studiert. Ihre Leute sind, wenn Sie den Ausdruck entschuldigen, ›Barbaren‹. Wir wissen, daß Sie auf Unrecht mit Gewalt reagieren, was ein eher irrationales Verhalten darstellt. Zudem liegt uns sehr daran, eine neuerliche gamantische Revolte zu vermeiden. Mit Sicherheit könnte aber die Ermordung Ihres Patriarchen genau diese Reaktion hervorrufen.«
»Trotzdem zwingen Sie weiterhin gamantische Planeten, die magistratische Politik zu akzeptieren, indem Sie Handelspartner bestechen, widerspenstige Gemeinschaften mit Embargos belegen und…«
»Das«, erwiderte Silbersay und nickte höflich, »ist eine Frage der politischen Strategie und fällt nicht in meinen Entscheidungsbereich.«
»Ja, uns ist auch schon aufgefallen, daß es zunehmend schwieriger wird, jemanden zu finden, in dessen Entscheidungsbereich es fällt.«
Er warf ihr einen scharfen Blick zu, als sie mit der Faust auf den Knopf des Türöffners schlug. Als die Tür zurückglitt, ging sie hinaus und marschierte mit strammen Schritten den langen weißen Korridor entlang, obwohl ihr das Herz schwer war.
Die Gewaltakte würden andauern, und sie konnte nichts dagegen unternehmen. Oh, natürlich würde sie die Drohung der Magistraten weitergeben, doch das würde die Guerilleros erst recht davon überzeugen, daß die Regierung ihren Vater umgebracht hatte. Diese verdammten Leuteschinder verstanden nichts von der gamantischen Kultur. Der ›Führer‹ war lediglich ein Bewahrer der Kultur, ein Vermittler zwischen unterschiedlichen Gruppen und ein Berater in Fragen sozialer Anpassung, doch keineswegs eine Art König oder Präsident. Sie übte ihr Amt, genau wie zuvor ihr Vater, nur Kraft des Respekts aus, den das Volk ihr entgegenbrachte, und nicht durch irgendeine absolutistische Macht, die mit ihrem Tiel verbunden war.
Und sie als neue Führerin hatte sich noch nicht jenen Respekt erworben, der nötig gewesen wäre, um die Ausschreitungen zu beenden. Oh, sicher, ein wenig vom Einfluß ihres Vaters war an ihr hängen geblieben, und deshalb würden ihr immerhin ein paar Dörfler zuhören – doch für wie lange? Und wie weit würde sie gehen können?
»Papa«, murmelte sie düster, »wie hast du deine ersten Jahre überstanden?«
Doch tief in ihrem Herzen wußte sie es. Ihr Vater hatte gegen jeden Vorstoß der Regierung opponiert, hatte immer dann, wenn die Magistraten versuchten, die sozialen Strukturen eines Planeten gegen den Willen der Bevölkerung zu verändern, den Widerstand organisiert und angeführt. Und er hatte seine Arbeit gut getan, so gut, daß die Menschen ihn fast wie einen Gott verehrten.
Ein leises Lächeln huschte über ihr angespanntes Gesicht, als sie sich an Zadok Calas erinnerte, den schmächtigen kleinen Mann mit der großen Nase und den zwinkernden Augen. Ein Gott. Ihr Vater. Und ihr Herz schmerzte so sehr, daß sie es kaum ertragen konnte. Das letzte Stück ihres Weges durch den Korridor rannte sie.
KAPITEL
19
Jeremiel suchte sich seinen Weg durch den Irrgarten aus rubinroten Höhlen und zog dabei mehrfach die Karte zu Rate, die Rathanial ihm gegeben hatte. Er bog rechts ab und stieg kurz darauf eine Treppe hinab. Unten angekommen, wandte er sich an einer Gabelung wieder nach rechts. Wenn er falsche Abzweigungen nahm, stieß er oft auf blockierte Durchgänge oder Sackgassen. Mitunter traf er auch auf hastig errichtete, provisorische Holzsperren, die wie schadhafte Zähne aus Löchern im Boden hervorragten. Warum waren so viele Teile dieser unterirdischen Welt geschlossen worden?
Irgendwo hinter ihm erklangen leise Töne, und als er sich umwandte, erkannte er die tiefen, melodiösen Stimmen der Mönche, die ihre Abendgebete sangen. Ihre Lieder durchzogen die unterirdischen Gänge wie Rauchfetzen. Religiöse Gesänge hatte er schon immer als angenehm beruhigend empfunden.
Er hielt die Lampe ein wenig höher und warf abermals einen prüfenden Blick auf die Karte. »Ich muß schon fast dort sein«, murmelte er. Seine Augen strichen über die Reihe der vor ihm
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