Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
ging an ihm vorbei und hielt dann inne. »Oh, noch einen Moment. Ich muß Sybil eine Nachricht hinterlassen für den Fall, daß sie aufwacht, während wir noch fort sind.« Sie ging zu ihrem Gepäck hinüber, zog ein Blatt Papier hervor, kritzelte eine kurze Notiz darauf und legte den Zettel auf den Boden neben ihre Tochter.
»Sie kann lesen?«
»Natürlich«, flüsterte Rachel, als sie zu ihm zurückhuschte. »Wir haben hier auf Horeb sehr gute Schulen.«
»Der Mashiah gestattet, daß die Schulen weiterhin unterrichten? Ich bin überrascht. Normalerweise werden die Schulen von einem Tyrannen zuerst ausgeschaltet.«
»Er ist … anders.«
Jeremiel warf ihr einen raschen, fragenden Blick zu. Ihre Stimme klang jetzt verändert, leise und zitternd. »Das habe ich jedenfalls erfahren müssen.«
Sie verließen die Höhle und schritten langsam den Flur entlang. »Schreibt er einen bestimmten Lehrstoff vor? Oder können die Lehrer frei unterrichten?«
»Die einzigen Fächer, die zu lehren er vorschreibt, sind menschliche Geschichte, die intergalaktische Sprache, gamantische Religion … und die Religion Milcoms.«
Jeremiel nickte in zögernder Anerkennung. »Großzügig von ihm, daß er die alten Denksysteme weiterhin zuläßt.«
»Er benutzt die ›Irrtümer‹ des traditionellen Systems als Werkzeug, um die ›vernünftigere‹ Religion Milcoms zu etablieren.«
»Tatsächlich? Sie müssen mir mehr über seine Theologie erzählen.«
Sie blieben für einen Moment stehen, als sich der Korridor vor ihnen dreifach verzweigte. Nachdem sie seine Karte zu Rate gezogen hatten, wandten sie sich nach links und gingen eine Weile schweigend weiter, während ihre Schritte dumpf von den roten Wänden widerhallten. Schließlich erreichten sie die Tür mit dem gelben Vorhang, der auf der Karte vermerkt war. »Ich glaube, wir sind da«, erklärte Jeremiel unsicher und rief dann: »Rathanial?«
Eine Stimme antwortete aus dem Innern: »Komm herein, Jeremiel.«
Jeremiel hielt den Vorhang für Rachel beiseite und folgte ihr dann, wobei er tief Luft holte. Es roch süß, wie nach frisch gepflückten Gewürzen. Der runde Raum mußte einen Durchmesser von mindestens hundert Fuß haben, und der rote Steinboden war von vielfarbigen Läufern bedeckt. Stühle waren entlang der Wände aufgestellt und umgaben den großen Tisch in der Mitte des Raums, auf dem kristallene Becher und Karaffen im sanften Kerzenschein schimmerten.
Rathanial stand vor einem lodernden Feuer und strich sich den weißen Bart. In seiner dunklen, pflaumenfarbigen Samtrobe sah er majestätisch aus. Neben ihm stand ein großer dunkelhäutiger Mann, der in das für Novizen übliche Braun gekleidet war. Jeremiel betrachtete den Mönch forschend. Er besaß ein rundes, mahagonifarbenes Gesicht mit einer flachen Nase und scharfen schwarzen Augen. Sein dichtgelocktes Haar bildete einen fünfzehn Zentimeter dicken Halo um seinen Kopf.
»Danke, daß ihr beide gekommen seid«, sagte Rathanial und ging auf sie zu. Seine Augen blickten müde und ein wenig abwesend. Er verneigte sich leicht und bildete mit den Fingern das heilige Dreieck. »Bitte nehmt Platz und bedient euch selbst mit dem Wein.«
Jeremiel legte seine Hand leicht auf Rachels Rücken und führte sie zu dem langen, rechteckigen Tisch, der genug Platz für zwanzig Menschen bot. Das eine Ende war mit kleinen Tellern und Bechern gedeckt. Zwei Flaschen sebanischen Rotweins standen schräg in eisgefüllten Behältern, und eine mit Dessertäpfeln überladene Schale schmückte den Tisch.
Als Jeremiel den hochlehnigen Stuhl für Rachel zurechtrückte, flüsterte sie: »Wer ist der Novize?«
»Ich weiß nicht. Aber ich nehme an, das werden wir noch herausfinden.«
Rathanial und der Mönch gingen zur anderen Seite des Tisches und ließen sich dort nieder. Jeremiel zog eine der tropfenden Flaschen heraus, wickelte geschickt das am Eiskübel hängende Tuch darum und füllte die Gläser, wobei er dem Mönch argwöhnische Blicke zuwarf. Weshalb war der Neophyt hier? Er hätte es verstanden, wenn Rathanial einen seiner hochrangigen Kollegen zu den strategischen Gesprächen herangezogen hätte – doch ein Novize im Kommandostab? Das schien ein gefährlicher und unprofessioneller Schachzug zu sein.
»Lassen Sie mich zunächst Vater Avel Harper vorstellen«, begann der Höchst Ehrenwerte Vater. »Er ist…«
»Ein Novize«, ergänzte Rachel unverblümt.
Rathanial runzelte die Stirn. »Stört Sie das, meine Liebe? Mir war
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