Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
hoffe, er entspricht deinen Bedürfnissen. Wenn nicht, sag mir Bescheid, dann sorge ich sofort für Abhilfe. Es mag Wochen der Diskussion bedürfen, bis ich dir die Wahrheit Milcoms zeigen kann. Ich möchte, daß du dich während dieser Zeit wirklich wohl fühlst.«
Sie starrte ihn an, während die Erkenntnis sie wie ein Fausthieb traf. Er wollte ihr den Käfig vergolden lassen. Denn das würde es sein: ein Käfig, ein Gefängnis – bis sie konvertierte … oder bis der Angriff begann und sie ihre Freiheit wiedererlangte, entweder durch Adoms Tod oder durch ihren. Sonderbar, dachte sie, daß sie eine derartige Möglichkeit niemals in Betracht gezogen hatte. Sie hatte ganze Tage damit zugebracht, sich all die schrecklichen Kompromisse auszudenken, die sie würde eingehen müssen, um ihn zu bewegen, ihr den Aufenthalt bis zu jenem schicksalhaften Tag zu gewähren. Jetzt aber wurde mit brutaler Offenheit deutlich, daß er vorhatte, sie hierzubehalten, bis sie »bereit« war, in die Reihen seiner Anhänger aufgenommen zu werden.
Er schloß die mächtigen Portale mit einem Krachen, und Rachel zuckte zurück. Vor ihr breiteten sich die Zeichen seines Reichtums und seiner Macht aus, die plüschigen Teppiche und die gewölbten Decken. Goldene Einlegearbeiten in den Wänden schimmerten im sanften Kerzenlicht und bildeten ein Labyrinth geometrischer Muster. Rachel überkam das erschreckende Gefühl, irgendwelche halb sichtbaren Dinge lauerten in den Schatten und warteten nur auf Adoms Zeichen, um zum Leben zu erwachen. Um ihren schwindenden Mut zu stärken, konzentrierte sie sich auf die Erinnerung an Jeremiels ermutigende Versicherung: »Sie werden überleben … Sie werden überleben … Sie werden überleben.«
»Rachel, ich möchte, daß du und ich glücklich miteinander sind.« Er senkte schüchtern den Blick, und Rachel bemerkte die Röte, die seine Wangen überzog. »Ich … ich wollte damit nicht sagen …«
»Adom«, erklärte sie und zwang sich zu einem Lächeln, als sie leicht seinen Arm berührte. »Ich weiß, was du gemeint hast.«
Er lächelte ängstlich und dankbar zugleich und streichelte sanft über ihre Finger, die auf seinem Arm lagen. »Das hatte ich gehofft.«
Als er sie den Flur entlang führte, ließen ihre Kräfte nach. Ihr Magen verkrampfte sich, und ein Schwindelgefühl überkam sie. Sie mußte sich an seinen blauen Samtärmel klammern, um nicht zu stolpern.
Jeremiel hatte die Arme fest vor der Brust verschränkt, als er zum Versteck der Wüstenväter zurückkehrte. Die Lampen der Mönche vor ihm überfluteten die Wände mit Licht und ließen ihn jeden Riß und jede Unregelmäßigkeit der Wände erkennen. Rathanial schritt schweigend und mit gesenktem Haupt neben ihm.
»Sie kann es schaffen. Ich weiß, daß sie es kann«, murmelte der alte Mann. »Sie muß. Um des Überlebens von Horeb und der gesamten gamantischen Zivilisation Willen.«
Jeremiel runzelte die Stirn. Er war sich nicht ganz sicher, was der letzte Satz bedeuten sollte. Rathanial wollte doch nicht etwa wieder auf die Vorstellung anspielen, Tartarus sei der Antimashiah, oder doch? Gerade jetzt, wo sein Magen revoltierte, weil er Rachel aus seiner Obhut fortgelassen hatte, hätte er ein Gespräch darüber nur schwer ertragen. »Sie ist sicher wichtig, Rathanial, aber ich kann mir kaum vorstellen, daß unsere ganze Kultur von ihr abhängt.«
»Ich habe dir nicht alles erzählt, Jeremiel. Das ging nicht, solange sie in der Nähe war.« Er schaute reumütig auf. »Ich konnte nicht riskieren, daß du Rachel etwas davon mitteilst. Deshalb habe ich einige kritische Details …«
» Was für kritische Details?«
Sie überquerten eine Brücke, und der angenehme Duft nassen Sandsteins erfüllte die Luft. Kühle Feuchtigkeit schlug sich auf ihren Gesichtern nieder.
»Wir haben Nachricht bekommen, mußt du wissen.«
Jeremiel spürte, wie sein Blut kalt durch die Adern rann. »Nachricht?«
»Nachricht von Tikkun und Kayan und …« Rathanial machte eine Handbewegung. »Und einem Dutzend anderer gamantischer Planeten. Der Mashiah hat Evangelisten zu unseren Brüdern gesandt, die Milcoms Wahrheit predigen und Epagael und die alten Bräuche verdammen. Nach den wenigen Informationen, die wir bekommen haben, sind schon Tausende konvertiert. Du weißt ja, wie das ist. Jeder möchte glauben, daß der wahre Mashiah endlich gekommen ist, um uns zu erretten. Ganz besonders in diesen schlimmen Zeiten, wo die Magistraten …«
»Ja, ich weiß
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