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Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Titel: Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen M. O'Neal
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vergiftet«, murmelte sie. »Jedesmal, wenn wir die Toten berühren, verseuchen sie uns mit ihrem Gift.«
    Er runzelte die Stirn, weil er nicht sicher war, ob er richtig gehört hatte. Das kam in letzter Zeit des öfteren vor. Er hörte, wie Menschen zu ihm sprachen, konnte sogar sehen, wie ihre Lippen sich bewegten, doch sein Verstand konnte ihre Worte nicht entschlüsseln. Es war so, als redeten sie in einer fremden Sprache. »Was?«
    Myra klopfte ihm sanft auf die Schulter. »Ich wollte damit sagen, daß es ein Gift ist, das uns zu Herzen geht und es schwer und traurig macht.«
    »Oh, ja. Ich verstehe, was du meinst.«
    »Eine weitere Wunde in unseren Seelen, und wieder ein Grund weniger, um weiterzuleben.«
    »Uns bleibt immer noch die Ewigkeit«, murmelte er dankbar und leckte den Pfirsichsaft von seinen Fingern. Warme Hoffnung erfüllte ihn. Er schaute hoch und lächelte Myra aufmunternd an.
    Ihre Kiefermuskeln strafften sich. »Ich weiß, daß du das glaubst, und ich bete zu Gott, daß es immer so bleibt. Aber was mich betrifft – und die meisten anderen hier –, haben die Soldaten die Ewigkeit ausgelöscht.«
    Er war so in seinen angenehmen Träumereien versunken, daß er nicht mitbekam, was sie gesagt hatte. »Epagael wird sich um uns kümmern. Er wird nicht zulassen, daß man uns tötet.«
    »Uns wird niemand helfen. Es sei denn, wir kümmern uns selbst darum.«
    Ein Stück entfernt winkte Sholmo ihnen heftig zu. Myra klopfte ihrem Onkel auf die Schulter, flüsterte: »Beeil dich«, und lief auf die Straße. Dort hob sie eine Schaufel auf und machte sich damit an einem Steinhaufen zu schaffen. Sholmo winkte abermals, diesmal drängender. Er arbeitete an einem Haufen herabgestürzter Balken, die an einer Wand des Versammlungsplatzes lagen. Talo bemerkte aus den Augenwinkeln eine grüne Uniform, doch er biß in Ruhe ein weiteres Stück von seinem Pfirsich ab. Sie erhielten pro Tag zwei dieser Früchte, und Talo genoß jede einzelne davon, als wäre es seine letzte. Was machte es schon, wenn er noch ein paar Sekunden im Schatten sitzen blieb, bis er den Pfirsich aufgegessen hatte.
    »He, du! Du alter Faulpelz!« rief ein rothaariger Marine mit großen Sommersprossen. »Warum arbeitest du nicht?«
    »Ich … ich …« Ein leiser Angstschauer überfiel ihn. Er ließ die Frucht fallen und zeigte mit aufgerissenen Augen darauf, als würde das alles erklären.
    Der Marine trat mit dem Stiefel dagegen, und der Pfirsich landete mit einem platschenden Geräusch an der Wand eines ausgebrannten Gebäudes. Talo blickte der zerplatzten Frucht nach, während ihm Tränen in die Augen stiegen. Welch eine Verschwendung, und das für nichts. Der Marine zog den Plastikknüppel aus dem Gürtel und zog ihn Talo über den Schädel. Er stürzte auf die schmutzige Straße und krümmte sich unter den Schlägen.
    Das Blut rann ihm in die Augen, doch Talo konnte trotzdem erkennen, wie die anderen Arbeiter reglos dastanden und zuschauten. Einige rangen die Hände. Die meisten blickten zornig drein, als wären sie verärgert über ihn, weil er den Wutanfall des Marine nicht verhindert hatte. Talo wußte, daß oft genug die ganze Gruppe darunter leiden mußte, wenn eines ihrer Mitglieder bestraft wurde. Erst vor einer Woche waren die Marines durchgedreht und hatten innerhalb von wenigen Minuten zwanzig Arbeiter totgeknüppelt. Ihr Blut hatte sich in einem wahren Strom über die Straße ergossen.
    »Hören Sie auf!« schrie Myra plötzlich. »Nach den letzten Schlägen hat er den Verstand verloren. Wahrscheinlich hat er nicht einmal begriffen, was Sie zu ihm gesagt haben!«
    Der Marine fuhr schwer atmend herum. »Willst du die nächste sein, Mädchen? Möchtest du, daß ich dir die Zähne ausschlage?« Er schüttelte drohend seine mächtige Faust. Sie wich weinend einen Schritt zurück.
    Talo versuchte sich zu erheben. Er wollte aufstehen, bevor noch jemand wegen ihm zu Schaden kam, doch die Übelkeit überwältigte ihn und er erbrach sich auf die Straße. Das Geräusch sich nähernder Stiefel erklang.
    »Was hat er getan?« fragte der Neuankömmling.
    »Er wollte nicht arbeiten! Ist ein fauler alter Schwachkopf.«
    Beide lachten, und der neue rief: »He, du dreckiger alter Wirrkopf. Weißt du nicht mehr, was wir mit Leuten machen, die nicht genug leisten?«
    Talo blickte ihn flehend an. »Ich … ich weiß …«, flüsterte er.
    Doch der Marine hörte ihn nicht. Er hob den Fuß und trat Talo brutal in den Magen. Er rollte zur Seite und

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