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Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Titel: Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen M. O'Neal
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das Nahen der Abenddämmerung kaum gemildert worden; sie hatten sich lediglich in eine erstickende Hitze verwandelt, die auch das letzte bißchen Kraft, das ihnen geblieben war, unerbittlich aufzehrte.
    Ein Windstoß peitschte über die Mauern und malträtierte Rachels Gesicht mit rauhen Sandkörnern. Niemand klagte, niemand rührte sich. Tödliche Stille herrschte auf dem Platz, als würde jeder der Gefangenen den Atem anhalten. Wann würde er kommen? Wann?
    Sie ließ ihre Gedanken zu Shadrach schweifen und erinnerte sich an die schönen Zeiten ihrer Jugend. Sie hatten sich in einem geheimen Geschichtskurs kennengelernt, den die gamantische Untergrundbewegung veranstaltet hatte. Nichtgenehmigter Unterricht war von den Magistraten unter Strafe gestellt worden. Lehrer und Schüler setzten ihr Leben aufs Spiel. Von ihrem ersten Streitgespräch über die Bedeutung der Revolution im täglichen Leben an hatte er Rachel angezogen wie das Licht eine Motte. Sein scharfer Verstand und sein Einfühlungsvermögen waren Balsam für ihre Seele. Sie liebte diesen großen Mann mit dem schütteren Bart und den meist fröhlich blickenden Augen.
    Ihre Gedanken machten einen Sprung zum Tempel, wo sie ihn vor drei Tagen zum letzten Mal gesehen hatte, als er am Altar stand und die Sighet-Feier zelebrierte. Sein bronzefarbenes Haar schimmerte im Licht, das durch die zerstörten Wände fiel. An jenem Tag war keine Spur von Fröhlichkeit in seinen Augen zu entdecken gewesen. Sorgen überschatteten sein Gesicht wie ein Leichentuch.
    Rachel schüttelte heftig den Kopf, wie um die nächsten Bilder ihrer Erinnerung abzuwehren.
    Jenseits der hohen Mauer erklang das monotone Geräusch von Rädern, die über Stein rollen, und das Klirren eines Pferdegeschirrs.
    »Glauben Sie, die wissen, daß wir hier sind?«
    Rachel wandte sich ein wenig zur Seite, um den alten Mann anzuschauen. Er hatte ihr seinen Namen schon öfters genannt, doch sie hatte noch immer Schwierigkeiten, sich daran zu erinnern. Talo? Ja, Talo. Ein großer, grobknochiger Mann mit einer behaarten Brust und weißen Bartstoppeln, die der Staub rötlich eingefärbt hatte. Er blickte sie aus vom Schlafmangel blutunterlaufenen Augen an. Neben ihm stand – wie erstarrt und gefühllos – seine Nichte Myra. In den vergangenen zwei Tagen hatte Rachel kein einziges Wort von ihr vernommen. Es schien, als wäre jegliche Hoffnung in ihr gestorben.
    »Die Menschen draußen, meine ich«, fügte Talo hinzu.
    »Natürlich wissen sie davon.«
    Er rieb sich mit einer schmutzigen Hand durchs Gesicht. »Ich kann kaum glauben, daß ich wirklich wach bin. Wie können unsere Leute es zulassen, daß wir so mißhandelt werden?« Er zwickte sich so fest am Kinn, daß sich die Haut trotz der Sonnenbräune weiß verfärbte. »Das muß ein schrecklicher Alptraum sein.«
    »Solange sie ihren Blick abwenden können und man sie in Ruhe läßt, werden sie sich nicht darum kümmern.«
    »Drei Jahre lang haben wir gekämpft, um die alten Bräuche und unseren eigenen Lebensstil zu erhalten. Und jetzt kümmert es niemanden, was mit uns geschieht? Das sind unsere Verwandten dort draußen!«
    Wie um seine Worte zu unterstreichen, trug der Wind den Widerhall von beschlagenen Pferdehufen und leisen religiösen Gesängen herbei. Irgendwo lachte ein Mann fröhlich.
    »Sind sie das wirklich?«
    Talos Blick wanderte über ihr Gesicht. »Wie können Sie so etwas nur fragen? Natürlich sind sie das. Horeb ist ein gamantischer Planet. Wir alle sind Brüder und Schwestern.«
    »Die Welt hat sich seit der Ankunft des Mashiah verändert. Das Wort ›Familie‹ gilt jetzt nur noch für jene, die ihm nachfolgen.«
    »Unsere Anwesenheit hier beweist das, aber …«
    »Heutzutage wenden sogar Vettern ihr Gesicht ab, Talo.«
    Er zupfte am ausgefransten Saum seines grauen Ärmels. Irgendwo im niedergebrannten Teil der Stadt schrie eine Steinmöwe. Rachel stellte sich das perlfarbene Tier vor, wie es unsicher auf der gezackten Mauer eines zerstörten Hauses hockte, während der Wind seine Federn sträubte. Der Vogel rief wieder, und der trillernde, klagende Schrei drang bis in ihre Seele.
    »Ja, es ist der Mashiah«, stimmte Talo zu. »Er verwirrt ihren Verstand. Er verfügt über eine Art Magie, die …«
    »Er ist kein Magier. Die Menschen scharen sich um ihn, weil er ihnen die Erlösung durch einen neuen Gott verspricht. Nur sehr wenige glauben noch an den alten Gott. Er hat uns zu oft im Stich gelassen.«
    »Das ist traurig. Uns bleibt

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