Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
von Giclas
… Während des Monats Uru las der Erste Magistrat Mastema in der Halle der Wissenschaften über die »Dynamik der Phasentransition in Wolken eingefangener Ionen«, wobei er sich auf Arbeitshypothesen bezog, die bei der Konstruktion der Aufbewahrungskammer in der kürzlich vollendeten Palaia-Station ihre Anwendung gefunden hatten. Wie er ausführte, bestehe der einzige mögliche Schwachpunkt in der Temperatur- und Frequenzkontrolle, da die Kammer konstante Bedingungen erfordere, weil andernfalls die Ionen aus dem vorgegebenen Muster ausbrechen könnten …
»Dynamische Phasentransmission?« wiederholte sie und fragte sich, was das bedeuten mochte. Sie legte das Buch beiseite und suchte nach einem Band, der besser erhalten war. Schließlich fiel ihr Blick auf ein in schwarzes Leder gebundenes Werk. Sie hob es auf, ging zum Tisch hinüber, blies den Staub von einem der Stühle und setzte sich. Als sie das Buch aufschlug, stockte ihr der Atem.
11. Januar 4412
Lieber Gott, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe meine ganze Familie und die wichtigsten Mitglieder meines Stabes hierher in die polaren Räume gebracht, ich weiß … ich weiß, daß wir nicht sicher sind. Jekutiels Streitkräfte drängen sich vor unseren Toren, und Milcom sagt, sein Heer zähle über eine Milliarde …
Rachels Blut rauschte. Sie blätterte vorsichtig zur ersten Seite zurück. »Edom Middoths persönliches Tagebuch? Doch nicht etwa der Middoth des Exils? Jener Tyrann, der den Gamanten schreckliches Leid in seinen Arbeitslagern zufügte?«
Das schien völlig ausgeschlossen zu sein. Keine der alten Lehren hatte je erwähnt, daß er nach Horeb gekommen wäre. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich nicht an eine Stelle erinnern, in der von seiner ursprünglichen Heimatwelt die Rede gewesen wäre. Aufgeregt blätterte sie weiter.
31. März 4413
Er will nicht mehr tagsüber erscheinen. Doch nachts berührt Er mich, gleiten Seine geisterhaften Finger wie Elektrizität über meine Haut, um mich aufzuwecken. Ich glaube … doch ich sollte das nicht niederschreiben, da die Möglichkeit besteht, daß Er es liest … Nein, Er wird sich nicht darum kümmern, solange ich gemäß Seinen Befehlen meine Armee der Sklaven weiter vergrößere. Nein … Ich bin in Sicherheit. Und dieses Tagebuch ist meine einzige Zuflucht vor Ihm. Ich muß zumindest schreiben dürfen.
Ich glaube, Er ist Aktariel, der sich hinter dem Namen Milcom verbirgt. Doch Gott helfe mir, Er ist so überzeugend. Ich kann seine schrecklichen Geschichten über Epagael nicht verleugnen. Wenn ich mich umschaue, sehe ich nur Leid.
Wenn ich nur Gewißheit hätte. Gesegneter Herr, wo sind all die Meas? Wenn ich könnte, würde ich selbst Epagael herausfordern und verlangen, daß Er die schrecklichen Fragen über das menschliche Leid beantwortet, die Milcom stellt.
Doch alle Meas sind verschwunden. Und in den Tiefen meiner Seele frage ich mich, ob nicht Milcom sie genommen hat. Denn wenn es keine Tore mehr gibt, kann Gott sich nicht mehr verteidigen.
Rachel blinzelte und lehnte sich zurück. Ihr Blick wanderte über die alte, zusammengebrochene Liege mit ihren geborstenen Beinen. »Jeremiel und Rathanial sprachen von einem Mea, das Zadok besaß. Also … gibt es sie wirklich. Und sie führen zum heiligen Schleier?«
Sie schlug eine andere Seite auf.
7. Juli 4414
Meine Tochter ist tot. Die wunderschöne Pyran, von einem wahnsinnigen Dämon in Stücke gerissen. Mein Kummer ist so groß, daß ich mich kaum zum Schreiben zwingen kann. Milcom sagt, es wäre Epagaels Werk.
Ich kann das nicht glauben.
Gestern habe ich Ihm erzählt, daß sie den Krieg haßte, daß sie nach dem Desaster auf Rensin in mein Zimmer stürzte und schwor, sobald sie die Führerin der gamantischen Zivilisation wäre, würde sie das Blutvergießen beenden und die Sklaven befreien – Seine Armee des Untergangs.
Geliebte Pyran, ich wußte nicht, wie verzweifelt Er mittlerweile ist.
Jetzt fürchte ich, Er wird alles tun, damit ich auf Seiner Seite bleibe.
Wie hypnotisiert blätterte Rachel bis zur letzten Seite von Middoths Tagebuch weiter.
12. September 4414
Ja, ich wandle schon im Schatten des Todes … Der letzte Angriff hat begonnen. Horeb ist nur noch eine öde Wüstenei. Zweiunddreißig Millionen sind tot. Milcom – Aktariel, dessen bin ich jetzt sicher – sagt, wir müssen weitermachen.
Ich habe nicht das Herz dazu. Die Sklaven haben
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