Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan
immer nur während des Festes. Mikael mußte das entgangen sein. Zadok machte langsam ein paar Schritte vorwärts, strich das nasse glatte Haar des Jungen zurück und beugte sich dann vor, um seine Stirn zu küssen. Sein Enkelsohn blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und klammert sich dabei an das Bein seiner Mutter. Sarah stand wie versteinert da, die Augen flehentlich auf Zadok gerichtet. Der Sturm hatte ihr langes Haar zerzaust und in eine strähnige schwarze Masse verwandelt, die an ihrem Gesicht klebte.
»Papa …?«
Er legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter und lächelte schwach. »Ich weiß. Ich habe es schon seit Stunden befürchtet. Und ich hätte es schon viel früher wissen müssen.«
»Was meinst du damit?«
Zadok erwiderte ihren Blick und erkannte die aufkeimende Panik darin. Er streckte die Hand aus, wischte die Regentropfen aus ihrem Gesicht und tätschelte ihr sanft die Wange. »Laß uns morgen darüber reden, hm?«
»Du glaubst doch nicht, daß die Magistraten …?«
»Später«, sagte Zadok finster. Er hatte die Furcht bemerkt, die in den Augen der Umstehenden aufglomm. Leises Gemurmel setzte ein. »Mach dir keine Sorgen. Ich werde schon einen Weg finden, um sie zu beruhigen.«
Er wandte sich ab und ging auf das Gestrüpp zu, um die Stelle zu untersuchen, von der das Blut kam. Es war keine Leiche, nur ein Arm. Ein Frauenarm, an der Schulter abgerissen und achtlos ins Unterholz geworfen. Zadok unterdrückte den Brechreiz, der in ihm aufstieg.
»Beeilt euch«, sagte er und wies auf den Wald. »Wir müssen sie finden. Vielleicht ist sie noch …«
»Verteilt euch«, befahl Rathanial. »Geht!«
Die Menschen eilten davon und knickten in ihrer Hast Äste und Zweige. Der kalte Wind trug Mikaels unterdrücktes Schluchzen davon. Zadok stand still da und blickte abwesend auf die hohen Kiefern, die die Hänge bedeckten. Die höchsten Bäume oben auf den Bergen schwankten heftig im Wind.
»Du auch, Rathanial. Geh.«
»Bist du sicher, daß du …«
»Ja.«
Der weißhaarige Mann nickte in stummer Verzweiflung und stapfte durch das Unterholz davon. Zadok holte tief Luft und bückte sich, um den Ring zu nehmen. Er war sechshundert Jahre alt und hatte einst seiner Großmutter gehört. Es war ein geheiligtes Geschenk von einem der Zaddiks, der heiligen Männer, auf der alten Erde gewesen. Die Saphire und Smaragde, die ein Dreieck innerhalb eines Dreiecks bildeten, funkelten im schwachen Licht des bewölkten Tages.
Er berührte das noch warme Fleisch seiner Tochter und zuckte unwillkürlich zurück. Sie konnte nicht länger als eine Stunde tot sein. Er fühle sich plötzlich schwach und wie betäubt. Sein Herz zu sehr von Schmerz erfüllt, um ihm Tränen zu erlauben. Erinnerungen stiegen wie eine aufgeschreckte Schar Vögel in ihm auf und verdunkelten den Himmel seiner Seele. Er erinnerte sich daran, wie sie gemeinsam mit Ezarins Puppen gespielt hatten, als sie fünf war, und wie ihre siebzehnjährige dünne Stimme schrill in seinen Ohren geklungen hatte, als er sie die alten Lieder gelehrt hatte. Und er erinnerte sich daran, wie er sie im Arm gehalten hatte, wenn sie nachts aus einem Alptraum hochgeschreckt war. Sie hatte ihr Leben lang so viele schlechte Träume gehabt. Eine Vorahnung? »Ezarin. Meine Ezarin.«
Er zwang sich, abermals die Hand auszustrecken, zog den Ring sanft von ihrem Finger und ließ ihn in die Tasche seiner Robe gleiten.
»Wer kann so etwas tun?« Mit zitternden Fingern streichelte er ein letztes Mal zärtlich ihren Arm. »Du weißt, wie sehr ich dich geliebt habe. Epagael wird dich aufnehmen, bis auch ich nach Arabot komme.«
Rufe drangen aus dem vor ihm liegenden Waldstück und hallten von den umliegenden Hängen wider. Zadok richtete sich müde auf und schaute hinauf zu den schwarzen Wolken über den Bergspitzen. Kalter Nebel schlug sich auf seinem Gesicht nieder.
»Gott?«
Fernes Donnergrollen antwortete ihm.
»Bin ich es? Habe ich dich verärgert?«
Wieder drang ein Ruf aus dem Wald, diesmal lauter, drängender. Während Zadok durch das Gehölz stapfte, hing er düsteren Gedanken nach. O ja, es gab unendlich viele Möglichkeiten, wer der Mörder sein mochte. Das Direktorium der Galaktischen Magistraten haßte die Gamanten. Sein Volk hatte immer aus Kämpfern bestanden. Ganz gleich, wie sehr die verschiedenen galaktischen Regierungen auch bestrebt gewesen waren, die gamantische Kultur auszulöschen – das Volk war sich selbst stets treu geblieben. Und
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