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Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan

Titel: Die Gamant-Chroniken 01 - Das Licht von Kayan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen M. O'Neal
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sich darauf, versuchte ihn noch zu steigern in der Hoffnung, er könnte ihre Trauer überdecken. Adom war ein wahnsinniges Genie. Ein Schauspieler, der seine Rolle zur Perfektion geführt hatte. Sie hatte ihm ein Dutzend Mal gegenübergestanden und die sanften Worte des Tadels gehört, mit denen er ihre Rebellion bedachte. Er war immer so freundlich, so sanft und nachsichtig. Oder so schien es wenigstens, bis er am nächsten Tag die Ermordung von Hunderten ihrer Anhänger befahl. Um sie zu strafen … o ja, er wußte, wie man strafte. So, wie er es jetzt auch wieder getan hatte. Was hatte er nun vor? Würde er warten, bis die Überlebenden sich am Eingang versammelte hatten, um dann das Feuer wieder eröffnen zu lassen?
    Rachels Arme gaben plötzlich nach, und sie landete auf der zerrissenen Brust eines jungen Mädchens. Der schreckverzerrte Gesichtsausdruck des höchstens zwölf Jahre alten Kindes schien sie um Gnade anzuflehen.
    »Nicht anhalten, Mommy«, stieß Sybil hervor. »Nicht anhalten!«
    Rachel stemmte sich mühsam wieder hoch und zwang ihren zitternden Körper, sich zu bewegen. »Psst, Liebes. Ich halte nicht an.«

 
KAPITEL

4
     
     
    Nebel wogte in deutlich sichtbaren Wellen die baumbestandenen Hänge von Kayan herab und hinterließ an den erbsengroßen grünen Trieben Tropfen, die wie Brillanten funkelten. Dunkle Wolken ballten sich am Horizont und überschatteten die gezackten Bergspitzen. Die kühle Luft war vom Geruch nach Erde und Kiefern erfüllt.
    Zadok zwängte sich durch das Unterholz. Sein Herz pochte laut. Die braunwollene Robe klebte feucht an seinem Körper und behinderte ihn beim Gehen, doch er zwang seine alten Beine unerbittlich vorwärts.
    »Wo bist du, Tochter? Ezarin?« Das gesamte Dorf hatte sich der Suche angeschlossen, und überall um ihn herum bewegten sich Menschen auf den Hängen.
    »Zadok?« Rathanials Stimme drang irgendwo seitlich hinter den Bäumen hervor.
    »Hier drüben!«
    »Macus meint, er hätte irgendwas gefunden.«
    »Wo?«
    »Auf der Wiese vor uns.«
    »Bin schon unterwegs!«
    Zadok schob die Ranken eines Brombeerbusches beiseite und arbeitete sich in Richtung Wiese vor. Es schien ewig zu dauern, sich durch das dornige Buschwerk zu winden. Mit einem großen Schritt überwand er einen verrottenden Ast und stolperte auf die Wiese hinaus. Nebelfetzen schienen sich an den Baumwipfeln festzuklammern. Menschen suchten Schutz vor der Kälte und drängten sich auf dem dicken, nassen Gras in Gruppen zusammen. Aller Augen waren auf Zadok gerichtet, und die Erkenntnis, die seit zwanzig Stunden in seiner Brust wuchs, wurde nun zur Gewißheit. Zu einer schrecklichen Gewißheit. Dennoch zwang er sich zu der Frage: »Was habt ihr gefunden?«
    Macus senkte den Blick und schaute zu Boden, doch Zadok hatte schon die Tränen gesehen, die in seinen Augen schimmerten. Der über hundert Jahre alte rothaarige Mann war gemeinsam mit Ezarin aufgewachsen, und die beiden hatten wohl ein Dutzend Jahre lang zusammen gespielt. Sie waren einander so nah gewesen wie Brüder. Zadoks Herz klopfte so heftig, daß er fürchtete, es würde ihm die Brust zersprengen.
    »Was ist los?« fragte er, doch seine Stimme klang schwach, beinahe klagend.
    Bevor er die Frage wiederholen konnte, bahnte sich Rathanial einen Weg durch die Menge und eilte zu ihm. Mit seiner silberglänzenden Robe und dem sorgfältig geschnittenen Haar sah er wie ein eleganter Todesengel aus. Flüstern erfüllte die Wiese.
    Rathanial trat Zadok in den Weg. »Abba, es ist vielleicht keine gute Idee, wenn …«
    »Sag es mir.« Er schaute fest in die schmerzerfüllten Augen des Mannes. »Sag’s mir!«
    »Es ist nur … Du solltest dir diesen Anblick ersparen. Ich werde mich um alles kümmern.«
    »Wenn du mir nichts sagen willst, dann geh aus dem Weg, du Gimpel!«
    Zadok stieß ihn beiseite und zwang sich trotz seiner zitternden Knie, zu Macus hinüber zu gehen. Als er näherkam, wich die Menge zurück und gab den Blick auf einen schmalen Pfad frei, über den vom Regen verdünntes Blut herabrann. Zadoks Schritt stockte. Die Menschen traten unbehaglich vom einem Fuß auf den anderen; manche schüttelten ungläubig den Kopf oder zeigten schmerzerfüllte und furchtsame Mienen. Zadok ballte die Fäuste.
    »Ich wußte es«, murmelte er immer wieder.
    »Großvater«, rief Mikael, »das ist nicht Tante Ezarin. Ich weiß, daß sie es nicht ist. Sie hat niemals so einen Ring getragen …«
    »Pst.« Ein Ring? Ihren Jekutiel-Ring? Sie trug ihn

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