Die Gamant-Chroniken 03 - Die Prophezeiung von Horeb
Müdigkeit in ihren Zügen. Hatte sie in den letzten acht Stunden überhaupt nicht geschlafen? Dabei hatte er doch extra die spektakuläre Botschaft von Slothen zurückgehalten, um ihre Ruhe nicht zu stören.
Amirah kam auf ihn zu und schwankte dabei leicht. Hatte sie so viel getrunken, oder war ihre Erschöpfung dafür verantwortlich? Bestimmt letzteres, beruhigte er sich.
»Setzen Sie sich, Jason«, sagte Amirah und deutete zum Tisch hinüber. »Möchten Sie etwas trinken?«
»Brandy«, erwiderte Jason, während er Platz nahm und Bücher und Halskette auf den Tisch legte. »Diese Sachen haben wir den Gefangenen abgenommen. Ich hatte noch keine Gelegenheit, einen Blick darauf zu werfen, aber wenn Sie …«
»Sind wir im Lichtsprung?«
»Ja, schon seit vier Stunden. Auf Palaia werden wir in etwa vierzig Stunden eintreffen.«
Amirah nickte und kam mit einer Flasche und zwei Gläsern zum Tisch. Als sie sein Glas füllte, zitterte ihre Hand.
»Amirah, ist alles in Ordnung mit Ihnen? Haben Sie sich ausgeschlafen?«
Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Nein.«
Jason warf einen Blick zum Computer hinüber. »Haben Sie Nachforschungen angestellt?«
»Ja, aber darüber möchte ich nicht sprechen – nicht jetzt. Erzählen Sie mir, wie es um das Schiff steht. Haben Sie Verbindung mit Palaia aufgenommen?«
Jason beugte sich vor und lächelte breit. »Ja, habe ich. Als ich Slothen berichtete, Sie hätten Baruch und Tahn gefangen genommen, dachte ich schon, er würde vor Überraschung in Ohnmacht fallen. Aber dann hat er sich zusammengerissen und fast normal reagiert.«
»Tatsächlich?« Amirah leerte ihr Glas mit einem Zug. »Was hat er denn gesagt?«
Jason griff in die Tasche, holte die Mitteilung heraus und schob sie ihr hin. »Slothen wollte diesen Erfolg sofort publik machen, aber ich riet ihm, damit zu warten, bis Sie sich ein wenig erholt haben.«
Amirah wurde blaß und machte ein Gesicht, als wäre sie gerade zu Unrecht eines Verbrechens angeklagt worden. Mit einer heftigen Bewegung zerknüllte sie das Blatt und erhob sich, um in der Kabine auf und ab zu gehen.
Jason war von ihrer Reaktion so überrascht, daß er mit offenem Mund dasaß. »Was stimmt denn nicht? Ich dachte, Sie würden vor Begeisterung auf dem Tisch tanzen. Bisher sind nur zehn andere mit dem magistratischen Ehrenkreuz ausgezeichnet worden. Ich bin jedenfalls so stolz auf Sie, daß ich platzen könnte!«
Ihre Augen blitzten. »Tatsächlich?«
»Ja!«
»Nun, dann werde ich Ihnen jetzt mal ein paar Einzelheiten darüber erzählen, wie ich die beiden meistgesuchten Verbrecher der Galaxis gefangen habe.«
Jason stützte die Ellbogen auf den Tisch und schaute sie erwartungsvoll an.
Amirah kam zum Tisch hinüber und blieb direkt vor ihm stehen. »Sie haben sich mir ergeben! Tahn reichte mir äußerst galant eine Pistole. Dann legten beide ihre Waffen ab und hoben die Hände über den Kopf.«
Jason verschlug es für einen Moment die Sprache. »Sie haben keinen Widerstand geleistet?«
»Nein, überhaupt keinen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht. Dabei hätten sie tausend Möglichkeiten gehabt. Beispielsweise, mich als Tauschobjekt für Calas zu benutzen. Oder ihren Sprengstoff zu entzünden und das halbe Schiff in die Luft zu jagen. Was sie statt dessen getan haben, war völlig irrational.«
Woloc betrachtete kommentarlos sein Glas.
»Jason«, sagte Amirah eindringlich, »haben Sie jemals von den Gehirnexperimenten gehört, die Creighton vor zwölf Jahren an den Gamanten auf Tikkun durchgeführt hat?«
»Nein.«
Ohne den Blick von ihm abzuwenden, deutete sie zum Computer hinüber. »Auf Slothens Befehl hin wurden die ›Testobjekte‹ erst verstümmelt und anschließend, wenn sie nicht mehr von Nutzen waren, gnadenlos beiseite geschafft. Er hat unschuldige Menschen ermorden lassen!«
Jason versuchte, diese Aussage mit seinem bisherigen Weltbild in Einklang zu bringen – was ihm aber nicht gelang. »Was meinen Sie mit ›ermorden‹? Die Regierung würde doch nie …«
»Die Akte auf meinem Schirm listet die Befehle auf, die Major Johannes Lichtner, Kommandeur von Block 10, im Verlauf von rund sechzehn Monaten erhielt.«
Jason bemerkte die abwartende Vorsicht in ihrem Blick. Befürchtete sie, er würde sich jetzt einfach in die Rolle des ›loyalen Offiziers‹ zurückziehen? Nein, das war unmöglich.
In den vergangenen Jahren hatten sie beide so viele Schrecknisse gesehen, daß sie nicht mehr an die Propaganda
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