Die Gamnma Option
er – was kaum überraschen konnte – mit einer Stärkung des Militärs auf Kosten der unteren Klassen. Abgesehen von den Militärbefehlshabern schmeichelte er sich bei den Reichen und Mächtigen ein und versuchte seine Macht zu stärken, indem er ebenfalls die Mullahs umgarnte.
Doch Hassanis Ambitionen erstreckten sich weit über den Iran hinaus. Sein Ziel war die Vereinigung der arabischen Radikalen im gesamten Nahen Osten zur endgültigen Vernichtung Israels. Und trotz alledem war er nur der zweitgefährlichste Mensch auf der Welt. Den gefährlichsten würde McCracken aufhalten, während Evira Hassanis Herrschaft ein Ende zu bereiten versuchte. Sie haßte sich für das, was sie McCracken hatte antun müssen, sah jedoch auch jetzt noch keine andere Alternative.
Ihre Gedanken schweiften zu ihrer eigenen Familie ab. Seit sie das Leben führte, das sie als ihr Schicksal betrachtete, hatte sie ihre Brüder nicht einmal mehr gesehen. Der eine, Anfang Zwanzig, war jetzt Guerillakämpfer im Libanon. Von den beiden, die noch keine Zwanzig waren, war der eine bei den Aufständen in der besetzten Zone von israelischen Soldaten getötet worden. Von dem anderen wußte sie nichts. Sie war oftmals versucht gewesen, sich auf die West Bank zu wagen und die Überlebenden ihrer Familie zu suchen, doch bei der gewaltigen militärischen Präsenz dort war das Risiko einfach zu groß. Wenn die Israelis Erkenntnisse über ihre Herkunft gewonnen haben sollten, würden alle Mitglieder ihrer Familie auf die bloße Möglichkeit hin, daß sie sich einmal in ihrer Nähe zeigte, aufs Strengste bewacht werden. Also blieb sie ständig in Bewegung und verkroch sich direkt unter der Nase ihrer Feinde, mischte sich unter ihr eigenes Volk und hing der Hoffnung nach, die Israelis würden einsehen, daß die Araber ihnen mehr ähnelten als sich von ihnen unterschieden, wie sie selbst es schon seit langem eingesehen hatte.
Hilfe würde sie in Teheran vom wachsenden iranischen Untergrund bekommen, von den Tausenden von Menschen, die schon lange vor Kriegsende von Khomeini die Nase voll gehabt hatten. Doch Hassani stellte für sie ein noch deutlicheres Symbol dar, gegen das sie sich erheben konnten. Seine Politik hatte Tausende und Abertausende zu einem Leben auf den Straßen gezwungen; die Prioritäten, die der General für das Land gesetzt hatte, hatten sie zu Bettlern gemacht. Diese Desillusionierten lebten nun in der trüben Dunkelheit der Furcht und Unzufriedenheit unter dem Schatten von Hassanis mörderischen und machtbesessenen Revolutionsräten.
Evira war es gelungen, einen Agenten in einer der sich bildenden Untergrundzellen zu plazieren, und es war bei verschiedenen Gelegenheiten schon zu Kontakten gekommen. Die Zelle hatte eingewilligt, ihr zu helfen, an Hassani heranzukommen, und ihr jede mögliche Unterstützung angeboten. Evira hatte ihr die Nachricht zugespielt, daß sie eine Waffe brauchte. Und auch eine Fluchtroute, denn sie war keineswegs unrealistisch, was ihre Erfolgsaussichten betraf.
Obwohl gerade erst der Mittag herangebrochen war, waren die Straßen des Teheraner Stadtviertels Naziabad praktisch leer. Wo es einmal Läden, Restaurants und Geschäfte gegeben hatte, sah man nun zugenagelte Schlagläden und mit Vorhängeschlössern gesicherte Türen. Es war nicht einmal ein Revolutionswächter zu sehen, nur ein paar Kinder und Bettler, die in den Mülltonne wühlten und sich um Essensreste stritten. Dennoch hielt Evira den Kopf gesenkt, um nicht bemerkt zu werden. Auf dem Flughafen hatte sie das Gewand einer armen Iranerin angelegt, doch eine genaue Betrachtung ihrer Gesichtszüge oder sogar der spärlichen Besitztümer, die sie in einer Tasche mit sich trug, hätte ihre Tarnung sogleich auffliegen lassen.
Das Gebäude, das ihr Ziel darstellte, war eine Plastikfabrik, die erst vor einem halben Jahr von Hassani geschlossen worden war. Dank ihrer Größe und Lage war sie ein perfektes Versteck, in dem diese Zelle ihre Treffen abhalten konnte. Sie schlich gebückt eine Seitenstraße entlang, die zu der Fabrik führte, und stieg dann ein paar steile Stufen zu einem verborgenen Eingang hinauf. Wie versprochen, war das Vorhängeschloß an der Tür nicht eingerastet; sie mußte nur daran ziehen, und es gab nach. Evira warf den Riegel zurück und drückte mit der Schulter gegen die schwere Tür. Ächzend glitt sie auf, und sie trat ein, in der Erwartung, von einem Mitglied der Zelle begrüßt zu werden.
Doch es war niemand da.
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