Die Gamnma Option
Dienstboteneingang und konnte sich unter das andere Personal mischen. Da anzunehmen war, daß jeder, der das Palastgebäude betrat, einer gründlichen Untersuchung unterzogen wurde, würde sie jedoch waffenlos hineingehen müssen. Doch dies bereitete ihr weniger Sorgen als die Möglichkeit, daß einer der Aufseher vielleicht merkte, daß sie gar nicht zum Personal gehörte. Sie konnte nur hoffen, daß die Hektik, die bei solch einem Empfang herrschte, Tarnung genug sein würde.
An diesem Morgen hatte Kourosh sie mit schwerer, grober Kleidung versorgt, darunter auch der typische Schal und Schleier einer verarmten Iranerin. Heutzutage lungerten viele solcher Frauen vor den Mauern von Hassanis Palast. Es bereitete mehr Mühe, sie zu verscheuchen, so daß die Revolutionswächter sie die meiste Zeit über dort duldeten.
Das größte Problem war, überhaupt zum Palast zu kommen. Der Bezirk Niavarin lag unter den derzeitigen Bedingungen drei Stunden von Naziabad entfernt. Kourosh führte sie die lange Strecke zur nächsten Bushaltestelle, doch als Evira die Dutzende von Menschen sah, die dort vor ihr in der Schlange standen, verließ sie der Mut.
»Tu so, als wärst du blind!« flüsterte er ihr zu.
»Blind?«
»Na los! Schnell! Bevor sie etwas merken!«
Evira gab ihr Bestes. Der Junge gab vor, ihr Sohn zu sein, und aufgrund ihrer vermeintlichen Behinderung ließen sogar die Armen Teherans sie an den Anfang der Schlange vor. Mehr noch, sobald sie sich erst an Bord des völlig überfüllten Busses befanden, bot man ihnen sogar Sitzplätze an. Sie mußten viermal umsteigen und dabei stets beträchtliche Strecken von einer Haltestelle zur anderen zurücklegen. Schließlich war Evira völlig erschöpft; ihr blieb nichts anderes übrig, als auf ihre sowieso schon zusammengeschrumpften letzten Kraftreserven zu vertrauen, und sie befürchtete allmählich, ihre Mission nicht mehr vollenden zu können.
Insgeheim hoffte sie, daß sie und Kourosh einem der ›Studenten‹ begegneten, die dem Jungen Englisch beigebracht und die Comic-Hefte gegeben hatten. Doch in ihrem Hinterkopf störte sie die Gegenwart einer beträchtlichen Anzahl Israelis in der Stadt auch weiterhin. Wer waren diese Leute? Weshalb waren sie hier? Ihre Quellen im Mossad wußten von keiner Operation, und sie konnte sich sowieso nicht vorstellen, was ein kleiner Haufen Israelis hier bewerkstelligen wollte.
»Wir sind da«, sagte Kourosh schließlich. »Du kannst jetzt aufschauen. Es sieht niemand hin.«
Evira richtete den Blick langsam auf den Haupteingang des Königlichen Palastes. Aus dieser Entfernung verdeckte die vier Meter hohe Sicherheitsmauer den größten Teil des weißen Gebäudes. Doch auch aus dieser Entfernung wurde deutlich, daß Kouroshs Zeichnungen der Größe des Komplexes keine Gerechtigkeit hatten widerfahren lassen. Betroffen registrierte sie, wie gewaltig das Gelände mit seinen Blumenbeeten und Grünstreifen war, das zwischen der Mauer und dem Palast selbst lag. Sie mußte ihren Plan überdenken. Es blieb gefährlich, die Dienstmädchenuniform zu benutzen, doch Zutritt mußte sie sich auf andere Art verschaffen.
Was würde Blaine McCracken tun?
Zuerst einmal nur einen Schritt nach dem anderen machen. Er würde nicht weiter als bis zur nächsten Ecke denken. Alternativen boten sich immer. Es kam nur darauf an, die richtige Gelegenheit zu erkennen und zu ergreifen.
»Du hast gesagt, unter dem Palast verliefen Gänge«, wandte sie sich an Kourosh. »Kennst du einen Eingang zu diesem Tunnelsystem? Könnte ich auf diese Art in den Palast kommen?«
Der Junge zuckte die Achseln. »Wenn du dich nicht verirrst. Die Gefahr dafür wäre zu groß. Und selbst, wenn es dir gelingen sollte …«
»He, du da«, sagte eine heisere Stimme hinter ihnen. »Wen haben wir denn da?«
Evira stellte sich augenblicklich wieder blind und tastete nach der Schulter von Kourosh.
»Ist die blinde Schachtel deine Mutter, Kleiner?« fragte ein zweiter Mann. Er trug einen Bart, roch unangenehm und war älter als der erste.
»Ein Glück, daß sie blind ist, sonst würde sie sehen, wie häßlich du bist«, erwiderte Kourosh.
Der erste Mann lachte, und dann fiel der zweite ein. »Du hast aber 'ne große Klappe, was, Kleiner? Wird Zeit, daß man dir mal Manieren beibringt.« Er blinzelte seinem Kumpan zu. »Und dann nehmen wir uns mal deine Mutter vor.«
Er holte aus, um dem Jungen eine kräftige Ohrfeige zu geben. Im letzten, allerletzten Augenblick nahm Evira
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