Die Gang: Roman (German Edition)
totaler Flop.«
Robin schob die Glastür mit der Schulter auf und ging hinaus. Der Wind auf ihren bloßen Armen war kalt und blies durch ihr dünnes Hemd. Zitternd eilte sie den Bürgersteig entlang, bis sie zum Eingang eines geschlossenen, unbeleuchteten Ladens kam. Dort öffnete sie ihren Rucksack. Sie nahm einen leichten Nylonparka heraus, schlüpfte hinein und zog den Reißverschluss hoch. Aus einer Seitentasche des Rucksacks nahm sie ein Messer in einer Scheide. Sie ließ es in eine der Taschen hinten an ihrer Jeans gleiten.
Dann schulterte sie den Rucksack, nahm den Banjokasten und ging auf die Straße hinaus. In der Mitte blieb sie stehen. Es waren keine Autos mehr unterwegs, nur einige parkten am Randstein. Nahe der Ecke führte ein Mann seinen Hund aus. Sonst war niemand zu sehen. Offenbar waren alle Läden und Restaurants für die Nacht geschlossen worden.
Sie ging auf die andere Straßenseite und nach Süden in Richtung Promenade.
Das hier war vermutlich eine Stadt, in der die Bürgersteige hochgeklappt wurden, sobald es dunkel wurde. Es ist lange nach Einbruch der Dunkelheit, sagte sie sich. Aber sie fand es trotzdem merkwürdig, dass ein Touristenort wie Boleta Bay zu dieser Stunde so völlig ausgestorben wirkte.
Wie spät ist es überhaupt? Es muss nach Mitternacht sein. Das bedeutete, auch Funland hatte geschlossen.
Sie spürte ein Aufflackern von Furcht und wusste zunächst nicht, wovor sie sich überhaupt fürchtete. Dann erinnerte sie sich an die Warnung des Polizisten vor einer Teenagerbande.
Wenn sie mich angreifen, werden sie mein Messer zu spüren bekommen.
Bei jedem Schritt spürte sie, wie die breite Messerschneide gegen ihren Po drückte.
Es war das Jagdmesser ihres Vaters.
Es hatte sie schon einige Male gerettet. Für gewöhnlich genügte es, das Messer zu ziehen, um weitere Schwierigkeiten zu vermeiden.
Sie hatte nur einmal zugestochen. In einem Busbahnhof in San Francisco. Ein Kerl war in den Waschraum gekommen, als sie sich gerade wusch. Er hatte sie an die Wand gedrückt, ihr Hemd zerrissen und angefangen, ihr die Jeans auszuziehen, als sie ihm das Messer zwischen die Rippen stieß. Er sagte: »Schau, was du getan hast!«, und fiel auf die Knie.
Obwohl der Parka sie warm hielt, spürte Robin, wie sie innerlich zu frösteln begann und sich anspannte bei der Erinnerung an diese Nacht.
Daran zu denken bedeutete beinahe, es noch einmal zu erleben. Sie durchlebte noch einmal ihre Überraschung, als der Mann nach ihr griff, fühlte die Angst, als er ihre Sachen zerriss, und wie sich sein Fleisch um das Messer zu legen schien, als sie zustach, und die Übelkeit und die Schuldgefühle nach ihrer Flucht. Er hatte überrascht ausgesehen, wie jemand, dessen Vertrauen missbraucht wurde.
»Du hättest es nicht versuchen sollen«, hatte sie gesagt, bevor sie wegrannte.
Sie hatte sich oft gefragt, ob der Mann wohl gestorben war.
Auch jetzt dachte sie wieder daran, und die innere Kälte wurde intensiver.
Es war Notwehr, sagte sie sich. Wenn er gestorben war, dann war das seine eigene verdammte Schuld und vielleicht ganz gut so. Er hatte vielleicht schon vorher Frauen vergewaltigt. Wenn er tot war, hätte er keine Gelegenheit mehr dazu. Vielleicht hatte sie der Welt einen Gefallen getan.
Aber Robin hoffte, dass er es überlebt hatte.
Wahrscheinlich war es so, dachte sie. Sie hatte ihn nicht am Herzen erwischt. Eher an der Lunge.
Wenn sie doch nur genau wüsste, dass er nicht gestorben war! Es würde vieles einfacher machen in Nächten wie dieser, wenn die Erinnerung wiederkam.
Was kannst du schon tun?, fragte sie sich. Du musst damit leben. Du hast keine andere Wahl.
Sie überquerte eine andere Straße und ließ das auf altmodisch getrimmte Viertel von Downtown hinter sich. Hier säumten keine Bäume die Straße. Statt nachgemachter Gaslaternen leuchteten gewöhnliche Straßenlampen. Keine Boutiquen, Teeshops, Restaurants, Bäckereien und Buchläden mehr. Ein Woolworth in der Mitte des Blocks. Auf der anderen Seite der Straße waren eine Tankstelle, ein KFZ-Zubehör-Laden und das Café, in dem Robin einen Cheeseburger gegessen, Kaffee getrunken und an neuen Liedern gearbeitet hatte, bis sie sich entschloss, für heute Schluss zu machen und ins Kino zu gehen. Alles war jetzt geschlossen. Innen glommen matte Lichter. Der Laden für Autozubehör hatte ein Stahlgitter vor der Tür.
Beim nächsten Block sah sie die Penner. Einer lag auf einer der Bänke einer Bushaltestelle, ein anderer
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