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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilles Del Pappas
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Ordnung hineinzubringen. Ich fange damit an, die verschiedenen Formate zu sortieren.
    Nach einer Weile gönne ich mir eine Pause. Ich bin nicht sehr weit gekommen, aber ich habe Hunger. Also mache ich mir einen Zehn-Uhr-Snack … Einen kleinen Ziegenkäse mit fein gehackten Frühlingszwiebeln und einem Spritzer Olivenöl. Dazu noch einen Schluck Cassis blanc und ich bin bereit, mich wieder ans Werk zu machen, nun vollkommen eins mit mir und der Welt.
    Und sehr viel optimistischer gestimmt …
    Gegen Mittag überkommt mich die Sehnsucht nach schönen Texten, Musik und Menschlichkeit. Ich lege Caussimon auf, den Schauspieler, Dichter und Sänger. Seine raue Stimme erfüllt meine Wohnung:
     
    »léger,
    de plus en plus léger
    désormais telle est ma devise
    léger au point que je ne peux
    me rappeler l’âge que j’ai
    le temps sur moi n’a plus de prise
    et l’avenir m’importe peu
    je frisotte mes tempes grises
    je suis tout léger, tout léger«
     
    Unten klopft jemand an der Tür, immer lauter wegen der Musik. Das muss der Polizist sein, der mir das Foto bringt.
    léger,
    de plus en plus léger …
     
    »Kommen Sie rein, es ist offen, ich bin oben«, rufe ich.
    Die Tür quietscht. Kurz darauf erscheint ein großer kräftiger Bursche mit krausem Haar, dunkler Haut, hellen Augen und jeder Menge Gold – an den Ohren, im Mund, an den Fingern, am Handgelenk, um den Hals … Dieser Schönling ist garantiert kein Bulle … Ich mustere ihn genauer.
     
    léger
    s’il me faut subir les sottises
    d’un philosophe ou d’un bas bleu
    je garde un sourire figé …
     
    Ein Zigeuner … Hübscher Junge, tailliertes rosa Hemd und Schlaghose. Er tritt ins Wohnzimmer, schaut sich kurz um und fragt ohne ersichtlichen Grund als Erstes: »Sonst keiner da?«
    Mit einem Mal packt mich die Angst. Panische Angst. Das ist die schrille Stimme des Kerls, der das Boot gesteuert hat. Einer der beiden, die mich erschlagen wollten. Scheiße! Was für ein Chaos!
    »Sie sind … Wer sind Sie?«
    Er weiß, dass ich ihn wiedererkannt habe. Dieser Typ mit der Weiberstimme macht mir eine Heidenangst. Wie ein Taschenspieler zaubert er eine Knarre mit Schalldämpfer aus einer Papiertüte hervor. Er verzieht die Lippen.
    »Psst! Halt’s Maul, du verschissener Erpresser!«
    Wie gelähmt sitze ich da. Ich kann seinen Akzent nicht richtig deuten … Aus Marseille, ja … aber da ist noch etwas anderes … er ist jobi … Caussimon singt weiter.
     
    léger,
    de plus en plus léger
     
    »Erpresser? Ich?«, stammele ich. »Was soll der Mist? Sie sind verrückt! Verschwinden Sie hier, aber schnell …«
    Der Zigeuner kommt mit raschen Schritten auf mich zu. Ich sitze hinter meinem Schreibtisch vor den geöffneten Kartons. Er geht um mich herum und steht plötzlich hinter meinem Stuhl. Ich versuche, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Da ist immer noch diese Stimme, die überhaupt nicht zu seinem mediterranen Macho-Äußeren passt …
    »Halt endlich die Klappe. Mir ist das doch scheißegal … Es geht mich nichts an, warum einer ein Arschloch ist. Wenn du den alten Kinderficker erpressen willst, meinetwegen. Ich hab nur den Auftrag, dich abzuknallen. Das ist mein Job …«
    Vor meinen entsetzten Augen dreht er die Papiertüte um. Etwas Schlaffes fällt heraus. Platsch, auf meinen Schreibtisch. Es verströmt einen ekelhaften Gestank. Ich spüre, wie sich mir die Haare aufstellen. Das ist eine Hand … Die Hand einer Frau – an einem ihrer Finger steckt ein goldener Ring. Glänzend umschließt das Schmuckstück das verwesende Fleisch. Mir wird ganz anders.
    »Kleines Geschenk. Damit nicht noch andere auf die gleiche Idee kommen … Eine Unterschrift, wenn du so willst …«
    Er packt meine Haare und zieht sie nach hinten. Ich kann mich nicht mehr bewegen und unterdrücke einen überraschten Aufschrei.
     
    léger,
    je reçois cousine Eloïse
    elle rougit jusqu’aux cheveux
    quand je lui dis, tu n’as pas changé
     
    »Ein kleiner Selbstmord … Ganz easy, Alter …«
    Da kommt ihm plötzlich ein Gedanke. »Du bist ein zäher Brocken, weißt du das, Fernandel?«, bemerkt er bewundernd.
    Er hält mir die Mündung seiner Knarre an die Schläfe. Sie ist kalt, eisig kalt.
    »Uns entwischt selten einer zweimal. Du hast entweder ziemlich viel Schwein … oder du bist verdammt clever …«
    Ich verliere die Nerven.
    »Was soll die Scheiße, verdammt … Ich hab niemanden erpresst … Lass mich los!«
    Er lacht sarkastisch.
    »Ja, klar … Ich geb’

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