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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilles Del Pappas
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würde gerade eine Frau in mein Haus und mein Herz einziehen.
    »Oh fan de chichourle!«, schimpfe ich vor mich hin.
    Die kleine Familie wird meine Freiheit einschränken! So ein Pech! Aber falls es ein Problem gibt, kann ich ja Esther fragen … Die Katze ist schwer beschäftigt. Sie braucht mich nun nicht mehr. Ich wechsle die Milch in ihrer Schale.
    Dann lege ich mich wieder hin, das leise Miauen der kleinen Kätzchen wiegt mich in den Schlaf. Doch plötzlich bohrt sich mir ein Gedanke in den Kopf wie eine Feuerklinge. Ich springe hoch wie ein Junkie auf Entzug und sause ins Bad. Hektisch wühle ich im Mülleimer herum, suche die Fetzen meiner Juliette heraus, ein bisschen Klebstreifen und – hopp – alles ist wieder ganz. Ihre Augen schauen mich vorwurfsvoll an. Verzeih mir, meine Juliette! Meine nach Lakritz schmeckende Liebste. Meine Indianerin …
    »Was bin ich doch für ein fadoli! «
    Ich lege mich wieder hin und schlafe beruhigt ein.
    Es ist schwarz-weiß. Mit sepiafarbenen Flecken. Vor mir marschieren Soldaten vorbei. In Zeitlupe. Ich sehe sie nur im Profil. Ein Lärm wie in einer Schmiede. Ich glaube sogar, den Lufthauch der Schmiede zu spüren. Einatmen, Pause, dann Ausatmen … Schrecklich.
    Sie marschieren im Gleichschritt. Schwer, machtvoll.
    Im Kontrast zu dieser mechanischen Welt stützt sich jemand leicht auf mich. Es ist meine Liebste, die da noch nicht schwarz ist. Sie ist glücklich, so, wie ich sie kennengelernt habe am Tag unserer Geburt, als sie nackt aus den Wellen auftauchte …
    Eine Meerjungfrau.
    Sie ist Unschuld, Arglosigkeit, Frische, Jungfräulichkeit, und ich weiß ganz sicher, was passieren wird.
    Ja …
    Wir sind in einer großen, dunklen Lagerhalle. Allein. Ich halte meine lederne Schultasche in der Hand, diese Tasche ist ein Problem, mein ganzes Leben steckt darin. Meine Schlüssel, meine Papiere, mein Scheckheft, meine Kreditkarte. Ich kann sie nicht ablegen. Aber ich brauche freie Hände, ich habe Angst. Juliette neben mir vertraut mir, sie verlässt sich bei allen Problemen auf mich. Sie ist meine Frau, und es ist meine Pflicht, sie zu beschützen …
    Ich mag diesen Lufthauch nicht, ich mag diese Soldaten nicht, ich mag diese Lagerhalle nicht, und ich mag die schwarzen Kleider nicht, die ich trage. Zum ersten Mal in meinem Leben stören sie mich. Dabei mag ich die Farbe sonst gern …
    Wie eine Fahne …
    Plötzlich wird es dringend. Wir müssen weg, die Schultasche durch das kleine Fenster da oben werfen, das auf eine Gasse hinausgeht. Eine Räuberleiter für Juliette …
    Schnell …
    Wir müssen … Wir müssen.
    Aber ich bleibe stocksteif stehen. Meine Liebste versucht mich zu beruhigen, wie in den seligen Zeiten, als die ernsten, schlangengrauen Dinge noch nicht wichtig waren.
    »Liebst du mich? Wie sehr? Zeig es mir … So sehr? Mehr? Noch mehr?«
    Reizvolle Liebesspiele, die mir trotzdem Angst machen – wie etwas, das man für alle Zeiten verloren hat …
    Mit jeder Frage vergrößert sich der Abstand zwischen ihren Händen. Ich bin fasziniert von den Intervallen, die immer größer werden, endlos.
    Wie jede Nacht weiß ich … Ich muss unbedingt etwas tun …
    Wir müssen uns verstecken, Juliette! Am Ende der Welt, diesem Albtraum entfliehen. In deiner Heimat! Dorthin müssen wir fliehen … Du hast mir so viel davon erzählt … In diesen Urwald, zu den Indianern, deiner Familie, die dich aufnehmen wird wie die verlorene Tochter …
    Wir werden nackt leben, wie die anderen. Wir werden dicke Aimaras angeln, Piranhas oder die berühmten Tarpune … Wie die Galibis werden wir vor den Augen von Greenpeace die Eier der Lederschildkröten stibitzen und sie ausschlürfen … Wir werden uns in Hängematten lieben, eng aneinandergeschmiegt, und zuhören, wie der Regen in dicken, warmen Tropfen fällt …
    Ja, wir müssen fliehen, sofort. Zum Hafen schleichen, ein kleines Segelboot stehlen und über Spanien und Marokko verschwinden, ehe die Welt zusammenbricht.
    Aber ich bin wie angewurzelt, meine Füße sind unlösbar mit dem Boden verbunden.
    Wie in jeder Nacht werde ich die Soldaten nicht davon abhalten können, langsamer zu werden. Mit einem ohrenbetäubenden, metallischen Lärm bleiben sie stehen. Jetzt werden sie sich mit einem fürchterlichen Geräusch zu mir umdrehen, mit ihren pupillenlosen Augen ihr Opfer suchen. Langsam werden sie die Klinge in die Kerbe an ihrem Gewehrlauf schieben … Dieses Geräusch ist unerträglich. Wie Kreide auf einer Tafel. Ungesunder

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