Die Gassen von Marseille
eigentlich meistens Burger, Salat … und Gemüsequiches … Porree, Kürbis, Roquefort, Lachs …«
So eine ist sie also!
»Na gut, dann gehen wir jetzt auf den Markt.«
Sie parkt den Wagen auf einem Fußgängerüberweg.
»Wozu ist man schließlich bei der Polizei.«
Ich lache, und sie stimmt ein. Claudia gehört offensichtlich zu den Menschen, die sich das Lachen nicht verkneifen können.
»Mögen Sie Fisch?«, erkundige ich mich.
Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten.
»Viereckig?«
Ich werfe ihr einen empörten Blick zu. Die verarscht mich! Viereckiger Fisch! Besänftigend nimmt sie meinen Arm, aber in ihren Augen blitzt immer noch ein ironisches Funkeln.
»Sie essen nicht das Gleiche wie ich, oder?«, fährt sie fort.
Ich seufze. Das wird nicht leicht.
»Zum Glück nicht! Nennen Sie das etwa Essen?«, antworte ich bissig.
»Nein. Aber wie wäre es mit einem Deal … Ich koche heute Mittag und Sie heute Abend … Wir müssen zusammenarbeiten! Also können wir genauso gut ein bisschen Spaß dabei haben …«
Sie hält mir die Hand hin, und ich schlage ein.
»Abgemacht, auch wenn ich damit wohl ein hohes Risiko eingehe …«
Sie schleppt mich zu Bataille, einem berühmten Marseiller Feinkosthändler, und kauft verschiedene Sachen ein. Das Wetter ist schön, und es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass vor ein paar Stunden jemand versucht hat, mich umzubringen.
»Was halten Sie von einem Aperitif?«, schlage ich arglos vor.
Kleine sorgenvolle Fältchen erscheinen auf ihrer Stirn. Ich ahne schon, dass ihre Antwort nein lauten wird. Oh, verdammt. Sie wird eine ganze Weile über meinen Lebenswandel bestimmen. Aber es wäre heuchlerisch, mich jetzt noch darüber aufzuregen. Da hätte ich mich schon vorher weigern müssen. Claudia antwortet wie erwartet.
»Normalerweise gern, aber ich glaube, es wäre nicht sehr klug, noch länger draußen zu bleiben. Kommen Sie, wir fahren nach Hause.«
Ich folge ihr zu ihrem Auto, als mich plötzlich ein großer Schwarzer am Arm packt.
»Hey, Grieche, bist du dir mittlerweile zu fein für mich?«
Ich küsse Roger zur Begrüßung. Er ist ein alter Freund … Als Kinder haben wir zusammen die wildesten Sachen angestellt. Als ich ihm die junge Frau vorstelle, mustert er sie abschätzend und leicht verächtlich. Dann redet er weiter, als wäre sie gar nicht da.
»Na, was gibt’s Neues, Alter? Ziehst du wieder mit einer zusammen?«
»Nicht doch, das ist nur mein Kindermädchen …«
Er zeigt keine Reaktion auf meine zweideutige Antwort. In Gedanken ist er ganz woanders. Langsam beugt er sich vor, damit sie ihn nicht hören kann.
»Sag mal, Constantin, kann es sein, dass du gerade gewaltigen Ärger hast?«
Sein schwarzer, tiefer Blick dringt forschend in mein Bewusstsein. Ich sage ihm die Wahrheit.
»Ähh … könnte sein … Um ehrlich zu sein, ich stecke bis zum Hals in der Scheiße, und ich habe nicht den blassesten Schimmer, was das Ganze soll. Wieso fragst du? Weißt du etwas?«
Er nickt.
»Ein paar Jungs suchen nach dir, knallharte Typen … Der Zigeuner und sein Kumpel Gallièri … Du kennst sie nicht … Aber sie kennen dich … Angeblich hat sie jemand angeheuert, um dich umzulegen …«
Roger hat irgendwann beschlossen, sich auf krumme Dinger zu verlegen. Als wir eines Tages mit reichlich Absinth irgendein Ereignis feierten, ist er damit herausgerückt.
»Ich habe mit der Scheiße angefangen, weil ich gemerkt habe, dass es sowieso alle von mir erwartet haben. Als ich dann abgerutscht bin, habe ich mir gesagt, dass das tatsächlich mein Ding ist … Und alles in allem geht’s mir seitdem gar nicht so schlecht …«
In Marseille ist es nicht schwer, auf die schiefe Bahn zu geraten. Anfangs hat er gestohlene Autos nach Marokko und Algerien verkauft, dann wurde er eingebuchtet, weil er in noble Villen eingestiegen war.
An dem Punkt haben sich unsere Wege getrennt.
Wir sind im gleichen Viertel aufgewachsen.
Im Racati.
Seine Wohnung lag ungefähr einen Block von der meiner Eltern entfernt. Er stammte aus einer kinderreichen Familie und hatte kaum eine Chance, es im Leben zu etwas zu bringen. Seine Mutter, eine Kriegswitwe, arbeitete als Sekretärin für die Legion. Die Stelle hatte sie bekommen, weil ihr Mann als Held bei Dien Bien Phu gefallen war. Die Familie, vier Schwestern und drei Brüder, hatte kaum Geld. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem die Mutter sie alle mit einer Ladung Skischuhe ausgestattet hat, die sie
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