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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilles Del Pappas
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Ahnung.
    Als wir ihre Wohnung betreten, bin ich angenehm überrascht … Keine albernen Fotos. Stattdessen orientalische Landschaften und ein riesiger Druck von Velázquez.
    Der Wohnbereich ist nicht sehr groß, aber unglaublich gemütlich. Ans hintere Zimmer grenzt ein Garten, sodass drinnen trotz der morgendlichen Hitze eine angenehme Kühle herrscht. Von vier alten Platanen beschattet, strahlt dieser abgeschlossene Bereich typisch mediterrane Romantik aus. Er liegt etwa zehn Meter über der Straße. Die junge Frau hat dort aufs Geratewohl Büschel von Rosmarin, Thymian und Fenchel wuchern lassen, die sich harmonisch unter die alten Rosenstöcke mischen.
    Die Düfte der verschiedenen Pflanzen versetzen meine Nase in Entzücken.
    »Ein bisschen zu kitschig für einen sammelwütigen Junggesellen, nicht wahr?«, bemerkt Claudia ironisch.
    Ich schaue sie verwundert an.
    »Sammelwütig … Wieso denn das? Meinen Sie etwa mich? Meine Wohnung?«
    Sie nickt. Und macht sich offen über mich lustig.
    »Natürlich meine ich Ihre Wohnung. Ist Ihnen noch nicht aufgefallen, dass bei Ihnen ein Haufen Sachen herumstehen, von denen fast nichts zusammenpasst?«
    Sie zählt mit den Fingern auf: »Ein alter Flipper, Bilder, Stiche, Filmplakate an allen Wänden, ja sogar an der Decke, ein Schiffsanker, Rattan-Stoßzähne, Glaskugeln aus Biot, Heiligenfiguren aus Gips, überall Bücher und dann noch eine Menge unnützer Kleinkram … Treibholz, Papiere, zerdrückte Konserven … Und von der Küche will ich gar nicht erst anfangen …«
    Sie setzt eine bekümmerte Miene auf.
    »So viele Töpfe, dass man sie nicht mehr zählen kann … Etliche Karaffen, nicht alle davon geschmackvoll, Dutzende von Werbeaschenbechern … Man kommt sich vor wie bei einem Trödler!«
    Ich muss wohl ein ziemlich belämmertes Gesicht machen, denn sie bricht in schallendes Gelächter aus. Natürlich hat sie recht damit, dass ich lauter wertloses Zeug anhäufe. Ein Freund hat einmal zu mir gesagt, meine Wohnung sei meine Gebärmutter … Dass ich die Leere auszufüllen versuchte … Ich habe immer noch nicht verstanden, was er damit gemeint hat. Vorsichtshalber erzähle ich ihr nichts davon, sonst könnte sie womöglich noch auf die Idee kommen, es mir erklären zu wollen. Und wenn es eins gibt, was ich auf den Tod nicht ausstehen kann, dann ist das, wenn irgendwelche Hobby-Seelenforscher versuchen, mein Verhalten zu analysieren … Doch sie wechselt abrupt das Thema.
    »Soll ich Ihnen jetzt Ihr Zimmer zeigen?«, fragt sie fröhlich.
    Im Garten steht ein kleines von herrlichem Efeu überwuchertes Holzhäuschen. Sie stößt mit der Schulter die Tür auf. Das Zimmer ist eng, aber hübsch. An der Rückwand steht ein eisernes Bett mit Beinen aus vergoldetem Kupfer. Darauf liegt ein Federbett aus gestepptem rosa Satin. Claudia öffnet die Fensterläden. Ich helfe ihr dabei, denn sie haben sich im Efeu verhakt.
    »Scheint ja schon länger her zu sein, dass Sie hier drin gelüftet haben …«
    Ein Bücherregal nimmt die gesamte hölzerne Wand ein. Krimis … nichts als Krimis …
    »Diesen Büchern habe ich es zu verdanken, dass ich heute Polizistin bin«, vertraut sie mir an.
    Polizistin aus Liebe zu Krimis.
    »Erstaunlich, mein lieber Watson …«, antworte ich zweifelnd.
    Sie schließt die Augen und versinkt in Erinnerungen.
    »Der Geruch der Bücher … Wenn ich mit meinen Puppen gespielt habe wie alle kleinen Mädchen … waren sie Superheldinnen, die das Verbrechen verfolgten, wo immer es sich zeigte … Meine Barbies waren tough, und sie wussten unglaublich viel. Sie kannten zum Beispiel das von Bertillon entwickelte System zur Identifizierung von Personen. Sie hatten Sherlock Holmes’ Studie über die Analyse von Zigarrenasche gelesen. Und sie vereinten den Grips von Hercule Poirot, die Energie von Nestor Burma aus der Detektei ›Fiat Lux‹, den Pragmatismus von Kommissar Maigret und den Humor von San Antonio … Die Rätsel verschlossener Räume bargen kein Geheimnis für meine Soldatinnen. Manchmal wechselten sie sogar auf die andere Seite … dann waren sie Arsène Lupin, der schöne, charmante Gentleman-Einbrecher, oder der schreckliche Fantomas hinter seinen Masken, dieses wahre Genie des Bösen. Der zu allen Schandtaten fähige Rocambole oder Rouletabille, der Meister der Täuschung. Ja, das alles habe ich erlebt …«
    Sie zuckt mit den Schultern.
    »Die Lektüre meiner Kindheit hat dann zwangsläufig meinen weiteren Weg beeinflusst. Wie fatal!«
    Ich

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