Die Gassen von Marseille
denke an meine eigene Lektüre zurück. Kafka, Hemingway, Tolstoi, Hugo. Waren sie entscheidend für die Wahl meiner Jobs? Ich kann es mir kaum vorstellen ….
»Jetzt muss ich mich aber ums Essen kümmern«, sagt sie. »Richten Sie sich doch unterdessen hier ein. Ich rufe Sie, wenn ich so weit bin!«
Mit diesen Worten verschwindet sie in die Küche. Ich höre Töpfe klappern – ein gutes Zeichen … Zunächst lege ich mich aufs Bett, um zu sehen, ob es auch bequem ist, und starre an die Decke. Diese Beschäftigung gefällt mir. Fliegen, Zimmerdecken …
Da springe ich auf. Ich muss Mateis anrufen …
»Mögen Sie Caipirinha?«
»Ja, doch … geht in meine Richtung! Ich mag Rum …«
Sie lacht. Leise Sambaklänge wehen durch das Zimmer. Sie zerdrückt Limonen, gibt Zucker und zerstoßenes Eis dazu und holt eine Schnapsflasche. Das schwarze Etikett zeigt eine knallrote Krabbe. Pitú heißt das Zeug. Sie gießt einen ordentlichen Schuss davon in den Shaker, ein nostalgisch anmutendes Ding aus den Sechzigerjahren, und beginnt zu schütteln. Im Rhythmus der Musik wiegt sie ihre Brüste und ihren Hintern, der sich unter der engen blauen Hose abzeichnet.
Lecker! Was geschieht da mit mir? Eigentlich verspüre ich seit langem nicht mehr das geringste sexuelle Verlangen! Aus dem Tiefkühlfach holt sie zwei kleine, dickwandige Gläser, die sofort beschlagen. Sie taucht ihren Rand in Zucker und gießt das Mixgetränk ein. Ich probiere … Es schmeckt eiskalt, mild und erfrischend.
»Sehr gut …«
Das Telefon klingelt. Es ist Philippe. Claudia hält mir den Apparat hin.
»Ja, Phil … Ich wollte dich gerade anrufen … Jemand hat zwei Killer auf mich angesetzt! Der zweite soll ein Typ namens Gallièri sein …«
»Woher weißt du das?«
»Von einem Schulfreund, der sich in der Szene auskennt. Ich habe ihn zufällig getroffen, und er hat mir einen Gefallen getan. Also, dieser Gallièri, was ist mit dem? Kennst du ihn?«
Schweigen.
»Ja, ich kenne ihn … Ein Kumpel des Zigeuners, den Claudia heute Morgen erledigt hat. Wer hat dir das verraten?«
Sein Tonfall klingt drohend.
»Das sagte ich doch schon, ein Freund. Mehr kann ich nicht verraten …«
»Früher oder später wirst du damit rausrücken müssen … Ach, übrigens, bist du gut untergebracht?«
»Ich werde hier verwöhnt wie ein Pascha …«
»Und … Constantin … wie geht es Claudia?«
Ich werfe ihr einen verstohlenen Blick zu, doch sie scheint nicht zuzuhören, sondern starrt hinaus in den sonnendurchfluteten Garten.
»Gut. Warum?«
Wieder Schweigen. Dann spricht er weiter.
»Bist du sicher? Die Kleine hat heute abgedrückt … zum ersten Mal. Ich weiß, sie werden darauf vorbereitet, aber … Verstehst du? Sie könnte durchdrehen, Angstattacken kriegen oder so. Da ist es im Moment einfach besser, wenn jemand bei ihr ist … Na ja, ich lasse euch jetzt in Ruhe, ruf mich an, wenn es ein Problem gibt! Inzwischen versuche ich deinen Killer ausfindig zu machen.«
»Okay, alles klar. Bis dann. Halt mich auf dem Laufenden!«
Er hat recht, einen Menschen umzulegen ist keine Kleinigkeit … Das würde jeden umhauen. Sie wendet mir den Rücken zu und leckt mit der Spitze ihrer rosigen Zunge sorgfältig den Boden ihres Glases sauber.
»Was glotzen Sie so?«, faucht sie.
Sie ist sauer. Ihre von der Wut vergrößerten Augen erscheinen seltsam klar. Wow! Wunderschön, aber das sage ich ihr lieber nicht. Sie würde mich erwürgen. Aber ich verstehe nicht, warum sie sich so aufregt.
»Wieso sind Sie denn so wütend?«
Sie starrt mich finster an, womöglich schleudert sie mir gleich noch das Glas an den Kopf … Oder verpasst mir einen Tritt in die Eier. Sie hat Mühe, sich zu beherrschen, und deutet mit dem Zeigefinger auf meine Brust.
»Sie … Sie … nichts. Weniger als nichts … Scheißmacho. Haben Sie sich nur eine Sekunden lang gefragt, ob es mich vielleicht auch interessiert, wer Ihnen an den Kragen will? Ich bin ebenfalls bei der Kripo! Was glauben Sie denn, wen Sie hier vor sich haben?«
Sie stößt mich mit dem Finger vor die Brust. Ein harter Finger … Ihre ganze Bitterkeit konzentriert sich in diesem rächenden Zeigefinger. Er stößt kräftig zu, wie eine Stahlspitze. Tock, tock, tock. Claudia schimpft weiter.
»Verdammt, ich habe diesem Trottel den Hals gerettet, und er verheimlicht mir zum Dank seine Mauscheleien … Für wen halten Sie mich eigentlich? Sie vertrauen mir nicht … Sie sind genau wie all die anderen Scheißmachos.
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