Die Gassen von Marseille
liebevoll.
»Die Alkoholsucht … Ihr müsst uns unbedingt etwas zu trinken anbieten!«
Mein bestimmter Ton irritiert sie etwas, und sie schauen uns fragend an.
»Stellt euch vor«, erkläre ich, »Alix und ich haben am gleichen Tag Geburtstag. Und dieser Tag … tataaa … ist heute! Der vierzehnte Dezember … Dementsprechend besuchen wir nacheinander unsere Freunde, läuten an ihrer Tür und stoßen mit ihnen darauf an! Ihr seid die fünften Glückspilze, die von uns ausgewählt wurden … Herzlichen Glückwunsch!«
Pedro lacht.
»Und ihr trinkt bei jeder Station? Das wird ja eine heiße Nacht! Morgen früh dröhnt euch sicher gewaltig der Schädel.«
»Wir haben vorgesorgt«, antworte ich. »Alix hat irgendwelche Pillen genommen, damit sie nicht krank wird, und ich ein altes Hausmittelchen …«
»Welches denn?«, fragt Émilie. »Das würde mich auch interessieren.«
»Es stammt von meiner Großmutter … Man trinke ein kleines Glas Olivenöl, ehe man zu saufen anfängt … Das ölt den Darm!«
Mir schallen erschrockene »Uhhs« und ein »Das ist ja ekelhaft« entgegen. Aber ich bin der Meinung, es funktioniert … Na ja, wenigstens im Moment noch …
Wir lassen uns auf dem gemütlichen Sofa nieder, während Émilie eine Flasche holt, die friedlich und unschuldig im Kühlen schlummerte, ahnungslos, dass um diese Uhrzeit noch zwei Hallodris mit trockener Kehle die Wohnung stürmen würden.
Champagner!
Alix hatte recht. »Klingeling« deutet sie mit einer Geste an.
Ich erhebe das perlende Glas in Anerkennung ihrer scharfsinnigen Analyse. Sie macht es sich unterdessen bequem und plaudert mit Pedro. Mein Mitgeburtstagskind gefällt ihm: blond, blauäugig und mit ganz leichtem Silberblick, der ihr einen geheimnisvollen Touch verleiht, etwas Verruchtes, Erotisches. Sie ist groß und schlank und kann das ultrakurze Miniröckchen problemlos tragen, aus dem zwei lange weiße Beine herausragen. Pedro gelingt es kaum, seinen Blick davon loszureißen.
Ich kenne sie noch nicht lange, höchstens zwei Wochen. Sie heißt Alix Wostelling, stammt aus Belgien und lebt nun hier in Marseille. Mein Kumpel Patrick, der Maronenverkäufer, hat sie mir vorgestellt. Was sie nach Marseille verschlagen hat? Keine Ahnung! Wir haben nie darüber gesprochen. Aber wie sie da so sitzt und mit Pedro plaudert, zeigt, dass sie die Männer ganz gerne in Verwirrung bringt.
»Habt ihr denn schon etwas gegessen?«
Ja, so ist Émilie, aufmerksam wie eh und je. Ich schaue Alix an, die eine verstohlene, aber eindeutige Grimasse schneidet. Sie ist halb verhungert. Ich muss über ihr vielsagendes Augenrollen lachen.
»Nun, weißt du, bis dato haben wir vor allem getrunken …«, antworte ich.
»Soll ich euch vielleicht eine kleine Tortilla con patatas zaubern?«, fragt Émilie verständnisvoll.
Sie kocht seit Jahren spanisch. Um die Zeit zu überbrücken, bis das Omelette fertig ist, schneidet sie uns ein paar feine Scheiben poutargue.
»Wo habt ihr denn schon überall getrunken?«
»Bei Freunden von Alix, die ihr nicht kennt, dann bei Shafik, bei Annie … Ach ja, und beim letzten Besuch habe ich für eine gehörige engatse gesorgt. Mit einem von den Typen hätte ich mich fast geprügelt.«
»O je, wieder mal typisch unser Grieche. Wie hast du das denn angestellt?«, rufen Émilie und Pedro.
»Wir haben so gegen acht geklingelt, da war bei ihnen schon eine Feier im Gang. Es hat auch alles ganz nett angefangen. Die Gastgeberin hat nicht mit Alix gerechnet und freut sich über die Überraschung. Sie führt uns in ein Zimmer, wo schon ein knappes Dutzend Leute sitzen und Pastis trinken. Gute Stimmung … Stellt euch typische Anhänger von Olympique Marseille vor, so um die vierzig … Aber irgendwie wirkt dieses Grüppchen komisch auf mich. Nach einer Weile leuchtet mir ein, warum: Die sind alle ziemlich gut beieinander. Manche sind sogar fast schon fett. Neben denen komme ich mir vor wie ein armer, unterernährter Afrikaner. Und mir kommt Rabelais in den Sinn: ›Unterdessen klopfte Herr Appetit bei ihnen an, und sie setzten sich mit ihm zu Tisch, wie es sich schickte. Sie alle waren dort versammelt: Pantagruel, Gargantua, Badebec, Ponokrates, Eudemon, Grandgosier, Bruder Hannes von Hackfell. Ihr Leben richtete sich nicht nach Vorschriften, Regeln und Paragraphen, sondern allein nach ihrem freien Willen und Gutdünken.‹«
Émilie applaudiert. Ich erzähle weiter.
In dem Zimmer wird viel gelacht. Die Hausherrin stellt mich vor, Alix
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