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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilles Del Pappas
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kennt fast alle Gäste. Dann setzt sie mich neben einen Typen, der sofort anfängt, mich blöd anzumachen. Ich höre nicht hin und mache mich so klein wie möglich. Schließlich habe ich heute Geburtstag!
    Irgendwann kommt das Gespräch auf den Front National, und ich mache ein paar »geistreiche« Scherze über den Flirt unserer Stadthüter mit dieser Partei. Na ja, ob das wirklich »geistreich« war, ist die große Frage … Jedenfalls will mich mein Nachbar reinreiten. Er nimmt alles, was ich gesagt habe, wörtlich und faucht mich an, ehe ich ihm klarmachen kann, dass er mich missverstanden hat. Plötzlich schimpfen alle auf mich ein und beschuldigen mich, der Ideologie der Rechtsextremen anzuhängen. Mein garibaldistischer Großvater muss sich im Grab umgedreht haben, der Arme.
    Mein Nachbar fängt an, mich als Faschist zu beschimpfen. Ich versuche noch, mich zu rechtfertigen, da sehe ich in seine Augen: kalt, berechnend. Der Typ hat mich nicht missverstanden, nein, er sucht Streit und reitet mich zu diesem Zweck mit voller Absicht in die Scheiße. Da fängt mein griechisches Blut an zu kochen. Ich werde sauer. Wütend packe ich ihn beim Hemd und erkläre: »Hör zu, counas, wenn du nicht gleich aufhörst, mir auf die roustambofis zu gehen, verpass ich dir eine rouste, die du so bald nicht vergessen wirst!«
    In dem Moment hören die anderen auf zu reden, und meine Worte hallen in einer tödlichen Stille wider.
    Ich stehe da wie ein Trottel … Der Typ wedelt ein bisschen mit den Armen, aber er ist mit der Situation sichtlich überfordert. Man trennt uns, und er verzieht sich unter wüsten Drohungen … Und ich sehe mich einem Tribunal gegenüber. Klar … Sie kennen mich nicht, und mein Humor ist ausgesprochen grenzwertig. Der nervige Typ dagegen ist ein Engel, der noch nie jemandem etwas zuleide getan hat. Kurz gesagt, ich habe die Nase voll davon, mich zu rechtfertigen und in der Wüste zu predigen, also mach ich die Biege. Alix kommt hinterher und erklärt mir, was da drin überhaupt los war.
    »Der versucht schon seit sechs Monaten, mich rumzukriegen … Und du bist der erste Typ, den ich zu diesen Freunden mitnehme … Kein Wunder, dass er in dir eine Art Rivalen gesehen hat …«
    Sie lacht sich schon wieder halb tot. Und auch Émilie und Pedro amüsieren sich über mein wütendes Gesicht.
    »Aber warum waren denn alle dort so dick?«, will Émilie wissen.
    Alix zuckt mit den Schultern.
    »Ich weiß es nicht … Die meisten von ihnen arbeiten in der Werbebranche … So habe ich sie auch kennengelernt … Vielleicht ernährt die Werbung ihre Leute ganz besonders gut … Männlein oder Weiblein, sie sind alle dick, wohlbeleibt, üppig, korpulent …«
    »Mollig, rundlich, füllig, schmerbäuchig, fett …«, ergänzt Pedro lachend.
    Ich gehe hoch in die Küche, um Émilie beim Kartoffelschälen zu helfen, während Pedro und Alix sich über Gott und die Welt unterhalten.
    »Ist Alix deine Aktuelle?«, erkundigt sich Émilie diskret.
    Sie ist furchtbar neugierig. Und hält mich für einen unverbesserlichen Don Juan, ich weiß auch nicht, wieso. In ihren Augen sind alle Mädchen, mit denen ich ausgehe, entweder schon in meinem Bett gelandet oder auf direktem Wege dahin.
    »Nein. Sie ist nur eine Freundin … Ich habe sie bei meiner Serie über die Hotels getroffen.«
    Ich fotografiere gerade Hotelzimmer in Marseille, in denen ich die Menschen ablichte, die angeblich dort wohnen. Handelsvertreter, einsame Gestalten, Schriftsteller, die in einem angemessenen Rahmen zu ihren Wurzeln zurückkehren, Schauspieler, frisch eingetroffene Einwanderer, Prostituierte, Transvestiten und so weiter …
    Die Serie deprimiert mich, das Leben dieser Menschen ist meist traurig und hart. Da die junge Belgierin in ihrer Anfangszeit in Marseille als Handelsvertreterin gearbeitet hatte, ist ihr diese Lebensweise vertraut … Sie verkaufte damals Anzeigen für ein provenzalisches Kulturmagazin, Theater und Musik. Mittlerweile wohnt sie nicht mehr im Hotel, aber sie war einverstanden, mir zuliebe das Spiel mitzuspielen. Wir sind zusammen in die billige Absteige gegangen, in der sie einst gewohnt hat, und ich habe ihr altes Zimmer für einen Tag gemietet. Ziemlich schäbig … Dann habe ich eine Reihe von Aufnahmen von ihr gemacht, beim Ausziehen, auf dem Bett, vor dem Spiegel, beim Lesen. Der Fokus lag dabei stets auf der tristen, hoffnungslosen, schmutzigen Atmosphäre des Zimmers … Ich bin sehr zufrieden mit dieser Serie. Es ist

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