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Die Gassen von Marseille

Die Gassen von Marseille

Titel: Die Gassen von Marseille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilles Del Pappas
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meine vierte …
    Während wir uns unterhalten, dünstet Émilie ihre Kartoffeln bei sanfter Hitze mit Olivenöl und einer Zwiebel zugedeckt in einer eisernen Pfanne. Zu den Eiern gibt sie ein wenig Thymian, etwas zerdrückten Knoblauch, Petersilie und zwei, drei grob gehackte Stängel Basilikum. Ein appetitanregender Duft erfüllt die Küche.
    »Fertig!«
    Das Essen ist hochwillkommen … Nach zwei Litern Champagner, ein paar Gläsern Wein und einem Glas Wodka war ich mir nicht sicher, ob ich diesen Rhythmus noch lange durchhalten würde. Genüsslich verputzen wir das köstliche Omelette und leeren dazu den Champagner. Pedro nervt uns mit seinem Gerede über den Klassenkampf, aber das stört uns nicht weiter … Niemand hört ihm zu.
    Anschließend bedanken wir uns bei unseren reizenden Gastgebern und verabschieden uns, um unsere Trinkrunde fortzusetzen. Im riesigen Aufzug des »Corbu« vergleiche ich unsere bisherigen nächtlichen Besuche miteinander. Meine Freunde liegen eindeutig vorne.
    »Ich sag dir, nistonne, meine Adressen haben eindeutig mehr Klasse. Ist dir aufgefallen … fast jedes Mal Champagner …«
    Sie denkt einen Moment nach und scheint in ihren Erinnerungen nach etwas zu suchen.
    »Nun denn, schöne Blonde, wo setzen wir unsere fröhliche Runde fort?«
    Die junge Frau zögert. Sie kratzt sich am Kopf, um anzuzeigen, dass in ihrem Geist gerade intellektuelle Höhenflüge passieren.
    »Ich weiß nicht … Vielleicht können wir … Aber ja, warum nicht? Ich sage dir, der Typ … Du wirst es nicht glauben, aber er hat mich aufgezogen … Na ja, wenn ich aufgezogen sage …«
    »Deine Eltern? Dein Vater?«

»Nein«, antwortet sie. »Keine Eltern … Kein Vater, kein Onkel … Nichts … Na ja, schon …«
    »Hast du keine Verwandten?«
    Ihr Mund verzerrt sich.
    »Ich habe ihn …«
    Sie scheint nicht weiter darüber reden zu wollen. Und ich hake nicht nach.
    Wir setzen uns in meinen Wagen. Es ist eine herrliche Nacht. Weihnachtswetter. Der Himmel erstrahlt in einem tiefen Blauschwarz, und die Sterne sind ganz nah und funkeln heller als sonst. Kein Wunder, es ist ja auch unser Geburtstag.
    »Es ist richtig warm!«
    »Ja, aber vergiss nicht: ›Weihnacht im Klee, Ostern im Schnee.‹«
    »Findest du deine ganzen Weisheiten nicht ein bisschen altmodisch? Bei uns in Belgien hört man so was nur noch von den Alten, wenn abends alle zusammensitzen …«
    Da ich merke, dass meine provenzalische Bildung sie nicht sonderlich beeindruckt, wechsle ich das Thema.
    »Also, wo fahren wir hin?«
    Sie konzentriert sich.
    »Erst müssen wir nach l’Estaque. Danach halten wir uns rechts, fahren durch die Unterführung … Und dann werde ich es schon wissen … Hoffe ich zumindest, es ist nämlich lange her … Das wird ein Schock für ihn sein …«
    Okay! Vamos! Wir fahren an der Pferderennbahn im Parc Borély vorbei, umkurven die Kopie der David-Statue und fahren weiter Richtung Corniche, die sich am Meer entlang bis zum Alten Hafen schlängelt.
    »Wie ist dieser Kerl denn so?«
    Schweigen.
    »Das wirst du ja gleich sehen!«, sagt sie schließlich. »Nur Geduld. Er ist ein seltsamer Typ. Eine Persönlichkeit … Er kann nicht mehr sehr jung sein. Damals war er es … aber jetzt …«
    Ich würde ihr am liebsten tausend Fragen stellen, aber etwas an ihren Reaktionen hält mich davon ab. Also bleibe ich stumm.
    »Ich wurde am Heiligen Abend gefunden«, erzählt sie nun, »am 24. Dezember. Meine Mutter hat mich ausgesetzt … Ich wurde aufgesammelt. In Belgien werden selten Kinder ausgesetzt … Obwohl, das gibt es wohl häufiger, als man denkt. Aber dieser Mann hat mich adoptiert … Ich war noch ein Baby. Er hat mich zu einer Amme gegeben und später, als ich alt genug war, ins Internat.«
    Ich unterbreche sie mit keinem Wort und achte darauf, was ich im gelben Licht meiner schwachen Scheinwerfer sehe.
    »Ich habe ihn nur an wenigen Sonntagen getroffen. Damals glaubte ich, er wäre mein Vater … Ich war auf guten katholischen Schulen …«
    Sie lacht freudlos.
    »Aber die Saat war verdorben …«
    Ihr Tonfall klingt verbittert.
    »Dann wurde ich zwölf Jahre alt, und er hat mich endlich zu sich genommen. Ja … genommen ist der richtige Ausdruck …«
    Ihre Miene wird düster, und es dauert eine ganze Weile, bis sie fortfährt.
    »Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als er mich abgeholt hat, um mich in sein Haus da oben in Belgien zu bringen … Die Nonne hatte mir erzählt, er wollte mit mir zusammenleben …

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