Die Gauklerin von Buchhorn: Historischer Roman (German Edition)
Frau wohl auch bald mit ähnlichen Spuren im Gesicht wie sie selbst herumlaufen würde. Sie wollte ihre Aufmerksamkeit schon wieder auf die Kunststücke der drei Gaukler richten, als sie Ansgar und Guntram bemerkte, die halb verdeckt an der Seitenwand der Kirche standen. Ansgar wollte seine Hand auf Guntrams Schulter legen, aber der jüngere Spielmann wich der beruhigenden Geste aus. Er schüttelte wütend den Kopf. Einen Augenblick lang vergaß Isentrud Dietgers Nähe und trat einen Schritt vor, aber da schob der Anführer der Truppe Guntram in Richtung des Kirchplatzes. Er selbst folgte ihm dicht auf den Fersen und verkündete mit einem unverändert freundlichen Gesicht: »Werte Damen und Herren aus Buchhorn, Ihr werdet jetzt etwas erleben, was Euch das Herz stocken lässt. Guntram wird seine Messer werfen. Nein, habt keine Furcht, er wirft sie auf uns!«
Vereinzeltes Gelächter erhob sich, das rasch verstummte, nachdem Guntram sein Wams abgestreift hatte und nachlässig auf den Boden fallen ließ. Seine harten Muskeln bewegten sich unter der sonnenverbrannten Haut, doch es waren die drei langen Messer, die die Aufmerksamkeit auf sich zogen.
Tiefe Stille breitete sich aus, und Isentrud war sicher, dass in diesem Moment alle an Reinmar und Hilde dachten. Sie hätte gern gewusst, ob Guntram die Anspannung wirklich nicht bemerkte. Der Gaukler machte eine knappe Geste, worauf die drei Akrobaten Strohpuppen herbeischleppten und vor sich aufstellten. Jede trug einen alten Kittel, und auf jeden Kittel war in Höhe des Herzens ein kleiner Kreis eingestickt. Guntram drehte seinen Gefährten den Rücken zu und fixierte die Zuschauer. »Und nun stellt Euch vor«, sagte er langsam, »das sind die wahren Mörder!« Mit dem letzten Wort wirbelte er herum und warf in rascher Abfolge seine Messer. Die Akrobaten sprangen zurück, während die Strohpuppen lautlos auf den Boden fielen. Die Zuschauer reckten die Hälse, bis die Gaukler die Puppen hochhoben. Jede war mitten ins Herz getroffen.
Lauter Beifall belohnte das Kunststück.
Isentrud sah wieder zu Hannes hinüber, neben dem inzwischen sein Neffe stand. Fridrun lugte hinter dem Baum hervor. Als sie die Frau des Imkers erkannte, legte sie den Zeigefinger auf die Lippen. Isentrud nickte.
Ansgar und Guntram waren in der Zwischenzeit hinter der Kirche verschwunden. Ihren Platz hatten wieder die Musikanten eingenommen. Sie spielten bekannte Tanzweisen, aber der Klang von Flöten und Fiedeln drohte mehr und mehr im Getuschel der Leute unterzugehen.
Dietger legte die Hand an den Mund und grölte: »Geht das endlich weiter?«
Sein Ruf wurde von den Umstehenden aufgenommen. Die Musikanten taten, als bemerkten sie es nicht, aber von ihrem Platz aus konnte Isentrud die Blicke sehen, die sie tauschten.
Die Leute begannen, aufgestachelt von Dietger, zu rufen und zu pfeifen. Ansgar nahm wieder seinen Platz ein, und die Unruhe legte sich. Sein Gesicht war ernst. »Werte Damen und Herren aus Buchhorn, soeben wurde mir Kunde zugetragen, dass ein Drache sich diesem lieblichen Ort nähert. Aber«, er hob den Finger, als unterdrücktes Raunen und nervöse Lacher ihn unterbrachen, »wir haben einen Drachentöter unter uns. Habt keine Furcht, er wird das Untier bezwingen.« Er trat zur Seite und streckte den Arm aus.
Der Drache tappte hinter der Kirche hervor. Ein grotesker Kopf wippte am Ende eines langen Stoffleibes, unter dem vier Menschenfüße in staubigen Schuhen hervorlugten. Trotzdem war der Beifall zögerlich, und als plötzlich ein Feuerstrahl aus dem Maul des Untiers loderte, wichen die Menschen zurück. Der Pfaffe war nicht der Einzige, der sich bekreuzigte.
»Teufelei!«, zischte Dietger böse.
Isentrud schloss die Augen.
Der Drache fauchte und schlenkerte seinen Kopf hin und her. Plötzlich drängte sich ein junger Mann durch die Menge. Er trug einen ledernen Harnisch, und seine blonden Locken leuchteten mit dem Schwert in seiner Hand um die Wette.
»Ausgeburt des Leibhaftigen!«, rief Tankmar mit heller Stimme. »Stell dich!« Er lief auf die Bestie zu und hielt ihr sein Schwert entgegen. Der Drache zuckte herum. Mit dem Vorderbein stampfte er wie ein Pferd auf. Lachen mischte sich in die Beifallsrufe, die dem mutigen Drachentöter galten. Sobald der Drache nahe genug heran war, warf sich Tankmar mit einem waghalsigen Sprung beiseite und hob sein Schwert. Als er auftrat, knickte er um und fiel hin. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Die Menge erstarrte. Isentrud
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