Die Gauklerin von Buchhorn: Historischer Roman (German Edition)
wer deine Freunde sind und wo sie sind.«
Wulfhard ließ den Kopf dumpf gegen die Bretterwand fallen und starrte zu Gerald empor. Er grinste.
»Ich frage dich nicht noch einmal«, drohte Gerald.
»Ist das ein Versprechen? Gehst du dann?«
»Bei Gott, ich schwöre, ich breche dir jeden Knochen im Leib, wenn du mir nicht die Antworten gibst, die ich brauche!«
Wulfhard verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. »Bei allen Heiligen, er hat’s immer noch nicht begriffen!«
»Wo sind sie?«, brüllte Gerald.
Wulfhards falsches Lächeln erstarb jäh. Er richtete sich auf, so gut er konnte. »Herrgott, Schmied, geht das nicht in deinen Schädel? Es gibt keine Freunde. Ich hab mir das ausgedacht, um euch Bauern eure selbstgerechte Nachtruhe zu vergällen. Aber selbst wenn es jemanden gäbe, der meinetwegen einen Mord begehen würde, dann sicher nicht auf diese Art. Ein sauberer Schnitt durch die Kehle, in Ordnung, aber seinen Schwanz abschneiden? Wer tut denn so was?«
Gerald atmete schwer. »Abschaum wie du! Du …«
»Gerald«, mahnte Hannes aus dem Halbdunkel. »Denk an diesen Mönch.«
Der Schmied machte eine abwehrende Handbewegung. Sein Blick irrte zu den schmalen Lichtstreifen, die durch die Bretterritzen drangen. »Die Frage ist, warum sie nicht den Karren überfallen haben, auf dem du hergebracht worden bist. Ein Hinterhalt, sagen wir, bei Wasserburg, hätte doch genügt.«
»He, Wirt, kannst du ihm vielleicht klarmachen, dass …?«
Gerald brachte Wulfhard mit einem Tritt zum Schweigen. »Dazu waren sie nicht stark genug. Aber einen einzelnen Mann konnten sie überfallen. Ist es jemand aus dem Dorf? Ist es so? Rede endlich!«
»Und was soll ich sagen?« Auch Wulfhard wurde laut. Er schüttelte die verfilzten roten Strähnen aus den Augen, um Gerald im Zwielicht besser erkennen zu können. »Du kannst mich totschlagen, aber davon wird dein Vater auch nicht wieder lebendig. Red dir bloß nicht ein, dass es hier um Gerechtigkeit geht. Du brauchst einen Sündenbock, weil du dich nicht mehr mit deinem Alten versöhnt hast. Du …«
»Halt’s Maul, du Narr!« Mit ausgebreiteten Armen warf sich Hannes zwischen die beiden Männer und fing Gerald ab, ehe der sich auf Wulfhard stürzen konnte. »Gerald, es reicht! Wenn du ihn umbringen willst, werd Fronbote. Schau ihn dir doch an! Wer sollte für den sein Leben riskieren?«
»Aber er ist der Einzige, dem Reinmars Tod nützt!«, schrie Gerald frustriert. »Er muss etwas mit seinem Tod zu tun haben!«
»Muss er das? Weil du es so willst?«, fragte Hannes ruhig.
Gerald wandte sich ab und starrte in die Dunkelheit, wo die Umrisse von alten Kisten und Säcken ihn an kauernde Dämonen erinnerten. Er dachte an das Richtschwert, das er dem Pfaffen vor der Versammlung in Verwahrung gegeben hatte, und fragte sich, ob die kalte Schneide seine Dämonen zum Verstummen bringen würde. »Was soll ich tun, Hannes?«, fragte er und rieb sich die Schläfen. »Was soll ich nur tun?«
»Mich in Ruhe lassen?«, schlug Wulfhard hämisch vor. »Gebt mir Bescheid, wenn ihr einen neuen Fronboten habt. Bis dahin haut ab.«
Gerald spürte, wie seine Schultern sich verspannten. »Bete, Wulfhard, bete zu Gott, aber er wird dich an den Teufel verweisen. Bete zum Teufel, und er wird dich an den Fronboten überstellen. Glaub mir, in deinem Fall sind sich alle einig!«
Wulfhard ließ sich in seinen Fesseln zurücksinken. »Heißt es nicht, alles liege in Gottes Hand? Ich glaube, unser Herr hat noch einiges mit mir vor. Vielleicht ist ja er der Freund, der …«
Geralds Faust krachte so plötzlich in Wulfhards Gesicht, dass dessen Kopf gegen die Wand geschleudert wurde. »Du wirst Gott nicht lästern!«
Ehe er noch einmal zuschlagen konnte, packte Hannes sein Handgelenk und drückte es mit überraschender Kraft nach unten. »Er ist es nicht wert. Komm!«
Während er sich ins Freie führen ließ, fiel Geralds letzter Blick auf Wulfhard, aus dessen aufgeplatzter Lippe das Blut sickerte. Sie sahen sich an, und Gerald fragte sich, warum er in Wulfhards Augen keine größere Wut las.
Irgendwie war es Hannes gelungen, Gerald davon zu überzeugen, dass ein Bier ihn auf andere Gedanken bringen würde. Jetzt saß er an einem Tisch in der ›Buche‹ und drehte den Becher in seinen großen Händen. Nur wenige andere Gäste hatten sich um diese Zeit in der Schenke eingefunden, und Gerald war erstaunt, dass keiner von ihnen über Wulfhard und die bevorstehende Wahl des Fronboten
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