Die Gauklerin von Kaltenberg
Meineid.
Abfälle und sogar kleine Steine flogen in Richtung des Ver urteilten, die Leute riefen Schimpfwörter. Jetzt konnte Eva ihn er kennen. Mit einem kleinen Laut der Bewunderung blieb sie ste hen.
Man hatte ihn in den Schandkäfig gesperrt. In diesen schlech ten Zeiten war das Gefängnis nur grob aus Holzstäben gezimmert und auf dem Platz aufgestellt worden. Der Mann darin war aller dings kaum zu übersehen.
Ein schwarzbärtiger Riese mit eindruckgebietenden Muskeln schlug in wütender Verzweiflung an die Stäbe. Trotz der morgend lichenKühle trug er nur einen kurzen Lendenschurz, so dass Evas geübter Blick seinen muskelbepackten Körper bewundern konnte.
»Der Teufel soll ihn holen!«
»Er soll sich hier nicht mehr blicken lassen!«
»Der meineidige Hund, der meineidige!«
»Reiß dein Maul nicht so weit auf, wenn es Gerechtigkeit ge ben würde, stündest du dort oben!«
»Was hat er angestellt?«, fragte Eva neugierig.
Die angesprochene Frau wandte ihr Eselsgesicht herum. »Weiß nicht«, erwiderte sie. »Die Leute reden, er hat seinen Meister im Stall des Burggrafen belogen. Ging wohl um einen Leibeige nen, der seinem Herrn weggelaufen ist und den er beschützen wollte.«
Evas Herz flog dem Riesen zu. Ihr fiel das Büßerinnenkloster ein. Eigentlich hätte sie sich nicht aufhalten sollen, aber angesichts dieses Körpers kam ihr Entschluss ins Wanken.
In diesem Moment flog die Kirchentür auf, wo Steffen auf Raubzug war. Mit beachtlicher Gelenkigkeit setzte der Goliarde ins Freie, hinterher ein dürres Mönchlein, das Zeter und Mordio schrie. Ein paar Brustkreuze und glänzende Ketten unter den Arm geklemmt, suchte Steffen das Weite.
Eva verschluckte einen Fluch. Also so sollte die Kirche für Stef fens Auskommen sorgen! Hastig drückte sie sich hinter die muf fige Cotte eines Bürgers. Hoffentlich hatte sie noch niemand mit ihm gesehen.
Johlend rannten die Leute dem Räuber hinterher. Selbst die Büttel am Schandkäfig verließen ihren Posten, um besser zu sehen. Niemand kümmerte sich mehr um den Mann darin.
Eva schürzte die vollen Lippen. Sie beschloss, das Büßerinnenkloster in unbestimmte Zukunft zu verschieben. Mit Gottes Hilfe und diesem Mann an ihrer Seite würden sie schon irgendwie durchkommen. Rasch überzeugte sie sich, dass die Aufmerksamkeit aller auf den flüchtenden Lotterpfaffen gerichtet war, und drücktesich näher heran. Mit einer schnellen Handbewegung löste sie den Riegel.
Der bärtige Riese starrte ebenfalls dem Kirchenräuber hinter her. Eva musste erst zischend auf sich aufmerksam machen, ehe er sich umdrehte. Sein verlegenes Grinsen ließ ihr das Herz in die Knie rutschen. Dann stieß sie die Tür auf und zog ihn ins Freie.
6
Annas Puls raste, als sie durch die gewundene Gasse ritten. Vor zwei Tagen hatte Regen die Straßen aufgeweicht, und Raouls Pferd sank bis zu den Fesseln in Schlamm und Unrat ein. Wütend wehrte sie sich und schrie um Hilfe. Aber Raoul hielt sie fest an sich gedrückt, und niemand kümmerte sich um sie. Nur durch die Ritzen der Fensterläden spürte sie Augen auf sich gerichtet. Verzweiflung machte sich in ihr breit. Nicht einmal eine Rennsau lief herum, die Tiere waren vermutlich in den Bratreinen der hun gernden Bewohner gelandet. Sie hatte keine Vorstellung, wie sich Raoul an ihr rächen würde. Aber er entführte sie kaum wegen ihrer schönen Augen.
Sie näherten sich einem gemauerten Torhaus mit rotweißen Fensterläden, hinter dem sich eine mit Holz überdachte Stein brücke erhob. Anders als die Stadtbewohner wirkten die Sol daten wohlgenährt – und kräftig. Sie begann wieder um Hilfe zu schreien.
Raoul wechselte einen belustigten Blick mit dem Zollherrn. »Manche Leibeigenen laufen immer wieder davon«, bemerkte er, während er in aller Ruhe seine Börse vom Gürtel holte. Natürlich würde man ihm glauben, dem Ritter – und nicht ihr. Seine Mund winkel zuckten, und er setzte nach: »Dieses Mal musste ich sie durch die halbe Grafschaft jagen.«
»Vielleicht gefällt es ihr nicht, was Ihr des Nachts mit ihr tut, Herr.« Der eine Reisiger lachte und entblößte einige verfaulte Zahnstümpfe unter den fettigen blonden Strähnen.
Raoul packte sie fester. Der Duft des Bades stieg ihr in die Nase und erinnerte sie, dass sie vor weniger als einer Stunde halbnackt ineinem Zuber gesessen hatten. »Du bist undankbar, Mädchen«, bemerkte er. Es klang wie eine versteckte Drohung. »Ich könnte dich viel härter anfassen.«
Genauso
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