Die Gauklerin von Kaltenberg
gut konnte es allerdings sein, dass er wieder nur mit ihr spielte. Annas Angst machte einem ohnmächtigen Hass Platz, der sie fast erstickte. »Krepiert am Aussatz!«, zischte sie.
Hinter Innsbruck ging es einen steilen Weg durch Nadelwald berg auf. Herbstlich bunte Bergeichen und Ahornbäume mischten sich hinein, am Wegrand lagen Felsbrocken. Maimun, Raouls Diener, hatte offenbar hier gewartet. Wenigstens war sie nun nicht mehr mit Raoul allein, dachte Anna erleichtert. Unter anderen Um ständen hätte sie den Ritt genossen. Die Römerstraße war gut be festigt, so dass selbst Wagen sie befahren konnten. Hier konnte man sich nicht verirren, vermutlich hatte Raoul deshalb keinen Bergführer gesucht. Aber sie wusste zu gut, was es bedeutete, wenn eine Frau allein mit zwei Männern reiste. Raoul konnte sie irgendwo in den wilden Thymian werfen und gewaltsam nehmen, nur weil ihm gerade danach war.
Als sie abends vor einer Scheune rasteten, sah sie sich unbehag lich um. Die bucklige Wiese fiel zum Bauernhof hin ab. Obwohl einzelne knotige Bergfichten darauf standen, war es zu weit, um hinabzulaufen, die Männer hätten sie eingeholt.
Während Maimun Feuer machte, befahl Raoul ihr, die Sattel taschen mit Dörrfleisch in die Scheune zu bringen, um keine Bären anzulocken. Anna gehorchte so hastig, dass sie auf eine Sil berdistel trat. Mit einem Schmerzensschrei rieb sie sich den nack ten Knöchel. Dabei waren die handtellergroßen weißen Blüten kaum zu übersehen. Zögernd kam sie wieder aus der Hütte und beobachtete ihn misstrauisch. Es gab Männer, die ihr eigenes Geschlecht den Frauen vorzogen, auch wenn sie sich das bei ihm nicht recht vorstellen konnte. Oder hatte er ein Sühnegelöbnis getan? Büßer sahen anders aus.
Annadachte daran, wie unverschämt er sie schon einmal ge küsst hatte. Beunruhigt presste sie die Lippen aufeinander. Wenn sie nur diesen Fluch nicht ausgesprochen hätte! Er schien fest dar an zu glauben, dass es dadurch eine Art von Verbindung zwischen ihnen gab.
»Abergläubiges Geschwätz!« Raoul warf Zweige in die Glut. Mittlerweile erhellte nur noch ein violetter Streifen am Horizont den Abend. Das Feuer beleuchtete ihn, aber auf sein Gesicht fiel ein Schatten. »Ich glaube nicht an Flüche.«
Überrascht ließ Anna den Zopf sinken, den sie gerade neu hatte flechten wollen. Konnte er ihre Gedanken lesen?
»Wiege dich deshalb aber nicht in Sicherheit.« Seine Stimme hatte einen gefährlich metallischen Klang. »Es hätte nichts ge ändert.«
Er hätte sie trotzdem getötet, nur um nicht im Ruf eines Ver fluchten zu stehen! Sie flocht ihr Haar weiter, aber vorsichtig kam sie näher. »Und was werdet Ihr jetzt tun?«
Raoul blickte auf, und das Feuer warf einen roten Schein auf sein Gesicht. Endlich schüttelte er kaum wahrnehmbar den Kopf.
Anna verschlug es die Sprache.
»Ich habe mehr als einmal daran gedacht, dich umzubringen«, sagte er gereizt. »Aber das heißt nicht, dass ich es gern getan hätte. Für was hältst du mich, für ein wildes Tier?«
»Für was sonst?«, schleuderte sie ihm ins Gesicht. Sie warf den Zopf auf den Rücken und kam heran. All die Jahre hatte sie keine Antwort auf die Frage nach dem Warum bekommen, es zerriss sie. »Ihr habt die Plünderung meines Dorfes angeführt!«
»Du weißt, wie der Krieg ist!« Vielleicht sagte er die Wahrheit. Vielleicht hatte er es wirklich nicht aus Gier getan. Aber es blieb Unrecht. Raouls Lippen bewegten sich stumm, als wolle er noch mehr sagen. Stattdessen erwiderte er abfällig: »Du kannst mir glauben, dass ich es oft bereut habe, dich nicht einfach niedergeschos senzu haben. Ich habe dich aus dem Wasser gezogen, und zum Dank verrätst du mich.«
»Was hättet Ihr an meiner Stelle getan?«, schrie sie zurück. »Hätte ich Euch mit Ulrich um Kaltenberg kämpfen lassen sol len?«
Raouls schneller Atem bewegte eine Locke, die ihm in die Stirn gefallen war. Das Feuer beleuchtete seine vor Wut oder Anspan nung verzerrten Züge. »Das wäre besser gewesen, als mich im Kerker verfaulen zu lassen!«, zischte er.
Anna starrte ihn an. »Das wusste ich nicht«, brachte sie hervor.
»Nein?« Er stieß abfällig den Atem aus. Wütend entfernte er sich einige Schritte, blieb stehen und schrie sie an: »Dein edler Ritter Ulrich hat mich fast umgebracht. Du kannst mir glauben«, zischte er, »sollten er und ich uns noch einmal begegnen, wird es einer nicht überleben!«
Wider Willen verstand Anna seine Wut. Dann machte sie sich
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