Die Gauklerin von Kaltenberg
erschrocken klar, wer er war. Es war ihm zuzutrauen, dass er ihr Vertrauen gewinnen wollte, um Ulrich zu schaden. Zu gut er innerte sie sich an seine Worte, als er sie geküsst hatte: Ich könnte ihm noch viel mehr nehmen. »Ich habe Euch verraten, aber für den Mann, den ich liebe«, stieß sie verächtlich hervor. »Ihr kämpft für Eure Gier!«
Wütend kam Raoul heran und packte ihren Arm.
Mit einem Schrei fuhr sie zusammen. Zitternd starrte sie ihn an, ohne ihn zu sehen. Wie bei allen Männern hing vom Reiten ein leichter Geruch nach Leder in seinen Kleidern. Und auf ein mal waren die Erinnerungen wieder da. Das entsetzliche Ge fühl, machtlos zu sein. Die schwitzenden Männer, der Schmerz und der Ekel vor dem eigenen Körper. Aus dem Augenwinkel be merkte sie sein Schwert, das er achtlos neben sich gelegt hatte. Sie befreite sich mit einer gelenkigen Drehung, raffte es auf und riss es aus der Scheide. Lieber würde sie sterben, als das noch einmal zu erleben.
Raoulschien überrascht. Dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte laut. Maimun war herangekommen, mit einem Wink gab er ihm zu verstehen, dass er ihn nicht brauchte. »Gib das her«, befahl er. »Du könntest dich verletzen.«
Anna hob die schwere Waffe. Auf den Märkten früher hatte sie schon ein Schwert in der Hand gehabt. Sie erinnerte sich, wie Stef fen ihr gezeigt hatte, es weit genug vor sich zu halten und die Kraft aus der linken Hand zu holen. Unwillkürlich nahm sie einen Fuß zurück, wie sie es gelernt hatte. Das Gefühl der rauen Lederbän der, mit denen der Griff umwickelt war, gab ihr Sicherheit. Auch ein Ritter war ohne seine Waffen nur ein Mann. Er machte einen Schritt auf sie zu, und sie riss den Anderthalbhänder hoch.
Verblüfft sah er an sich herab. Die messerscharfe Schneide hatte ihm die Cotte über der linken Schulter aufgerissen. Anna sah das Spiel der Muskeln, kleine Blutstropfen perlten auf seiner Haut. Er wies darauf. »Ich hoffe, du kannst das flicken.«
Wieder schlug Anna zu. Mit einem überraschten Schrei wich er zurück, und sie verfehlte ihn nur knapp. Keuchend hob sie das Schwert vor dem Gesicht, so dass sie ihn zwischen ihren Armen hindurch sah. Die ungewohnte Haltung zog in den Muskeln. Blitz schnell tauchte Raoul unter der Klinge hinweg und stand neben ihr. Er hebelte ihr das Schwert aus der Hand, warf es Maimun zu und packte sie an den Schultern.
Ihr Herz raste so, dass ihr übel wurde. Es war ein Wunder, dass er sie bisher nicht getötet hatte, aber jetzt würde er es tun. Sie schlug nach ihm, um sich zu befreien. Er schrie etwas und packte sie fester. Anna verlor die Fassung. Panisch schlug sie um sich und kreischte wie von Sinnen.
»Lass sie los, du Narr! Siehst du nicht, was mit ihr ist?«, hörte sie Maimun rufen.
Der Griff lockerte sich. Keuchend taumelte sie zurück und rang nach Luft. Mit zitternden Lippen starrte sie in Raouls Gesicht.
»Sieh mich nicht so an!«, herrschte er sie an. »Wenn ich dich schändenwollte, hätte ich es getan, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind.«
Er nahm Maimun das Schwert ab und warf es vor der Scheune auf den Boden. Anna spürte die unterdrückte Wut in der Bewe gung. Es fiel Raoul sichtlich schwer, aber er beherrschte sich. Langsam richtete er sich auf. »Ist das wahr?«, fragte er ruhiger. »Hat dir jemand Gewalt angetan?«
Anna kämpfte mit den Tränen. Sie erinnerte sich, wie der Narr des Bischofs darüber gespottet und ihr die Schuld zugeschoben hatte. Niemand, schon gar nicht ihr Feind, durfte je erfahren, wie man sie gedemütigt hatte. Es war kaum besser, als sich ihm selbst geschändet und misshandelt zu zeigen. Sie ertrug weder seinen Spott noch sein Mitleid. Mit abgewandtem Kopf sagte sie endlich: »Heinrich von Wolfsberg … Euer Verbündeter. Mit seinen beiden Söhnen …« Ihre Stimme versagte. Sie konnte ihm nicht in die Au gen sehen.
Raoul stockte. Dann kam er zu ihr herüber. Anna zuckte zusam men, aber er reichte ihr nur den Becher. Zögernd und in kleinen Schlucken trank sie, und Wärme lief durch ihren Körper.
»Ich habe Ritter gesehen«, sagte Raoul ernst, »die weit weni ger hätten ertragen können.«
Anna ließ den Becher sinken und sah auf. Ausgerechnet er sagte ihr das! Es war beinahe ganz dunkel geworden. Nur schemenhaft war sein regelmäßiges Gesicht mit dem ausrasierten Bart noch zu erkennen. »Warum habt Ihr mich nicht getötet?«, flüsterte sie.
Er zögerte. »Ich weiß es nicht.« Mit einer Handbewegung schnitt er jedes
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