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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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darin sehe, als ein Mädchen hinter einen Rosen strauch zu locken und ihr das Hemd vom Leib zu reißen? Du hast keine Ahnung, wovon du singst«, sagte er bitter. »Mit einem Lied kann eine Frau einen Mann so verführen, dass er alles für sie aufs Spiel setzen würde. Ihr habt auch solche Lieder. Es wundert mich, dass du sie nicht kennst: Wäre die ganze Welt mein, ich gäbe sie weg, um die Königin von England in den Armen zu halten .«
    Überrascht blieb Anna stehen. Sie konnte sich Raoul gut vor stellen, wie er eine Frau nahm, aber als Liebenden? Wusste er, wie es war, jemanden zu lieben und zu verlieren?
    »Wenn das so ist, warum haltet Ihr dann nicht Euer Mädchen in den Armen und lasst Kaltenberg in Ruhe?«, überspielte sie ihre Verwunderung.
    Er antwortete nicht. »O fortuna, velut luna statu variabilis« , erwi derte er dann in reinstem Latein. Es klang hart. »Das Schicksal ist launisch.«
    Verblüfft starrte Anna ihn an. Das fehlte gerade noch, er hatte jedes Wort verstanden!
    »Ich habe das Bild in deinem Buch gesehen«, erklärte er. Er hatte das Gefühl überwunden und lächelte kurz. »Du hast ge schlafen.«
    Anna wurde klar, was er sonst noch an ihr ansehen konnte, währendsie schlief. Schnippisch erwiderte sie: »Dann wisst Ihr ja, dass es auch Ritter unter sich begräbt.«
    »Uns alle«, entgegnete er, und sie war sich nicht sicher, ob er es ernst meinte oder sie verspottete. »Jeder Augenblick ist ein Ge schenk, das wir genießen sollten.«
    Dieselben Worte hatte Falconet verwendet. »So wie damals, als Ihr Kaltenberg niedergebrannt habt?« Im selben Moment, als sie es sagte, biss sie sich auf die Lippen.
    Raoul erwiderte nichts. »Du glaubst noch immer, ich hätte es aus Gier getan«, stellte er endlich fest.
    Ein Ritter musste sich nicht vor einer Gauklerin rechtferti gen. Sie konnte ihn nicht ansehen und blickte auf den steinigen Boden. »Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll«, erwiderte sie leise.
    Sie wünschte, Maimun würde endlich zurückkommen. Was immer Raoul mit ihr vorhatte, warum auch immer er sie wie eine Gleichgestellte behandelte, sie würde sein Spiel nicht länger mit spielen. Etwas unterhalb hatte sie ein Dorf gesehen. Vielleicht konnte sie dorthin fliehen.
    Die Gelegenheit kam, als der Weg auf eine Brücke führte. Das morsche geflochtene Geländer sah alles andere als vertrauener weckend aus, und die Bohlen waren brüchig. Der Bach stürzte über eine Felsnase in ein natürliches Becken. Jenseits der Brücke war die Straße nur noch ein Streifen lockerer Steine. Annas Augen funkelten verstohlen.
    »Mir tun die Füße weh«, beschwerte sie sich. »Wenn wir nicht bald rasten, wird mich selbst Eure schwarze Magie keinen Schritt weiterbringen!«
    Raoul lag offensichtlich ein zorniger Befehl auf den Lippen. Dann aber zuckte er die Schultern. »An deiner Sturheit würde sich selbst der Teufel die Zähne ausbeißen! Also gut, dort drüben kannst du dich ausruhen.«
    Er sprang vom Pferd und führte es hinter ihr auf die schwanken denBretter. Selbst sie musste sich vorsichtig vortasten, er konnte nicht auf sie achten.
    Raoul schien ihre Bewegung erahnt zu haben. Mit der Schnel ligkeit einer Höllenotter bekam er sie zu fassen. Das Pferd scheute und setzte ans Ufer. Zornig kämpfte Anna gegen seine kräftigen Hände an. Sie biss zu, bekam die Rechte frei und versetzte Raoul eine Ohrfeige. Unter ihnen knirschten die morschen Bohlen. Er packte sie und schleuderte sie gegen das Geländer. Dann warf er sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie. Holz splitterte, die Äste gaben nach. Eng umschlungen in ihrer wütenden Umarmung stürzten beide durch das Geländer. Das eiskalte Wasser schlug über ihnen zusammen.
    Nach Luft schnappend kam Anna an die Oberfläche. Sie stand bis zur Brust im Wasser. Das bewaldete Ufer fiel steil ab, doch wei ter unten verbreiterte sich der Bach zu einem flachen Strom. Keu chend warf sie die nassen Locken zurück und versuchte den Rand zu erreichen. Unter dem triefenden Haar blitzte Zorn in Raouls Augen. Das Wasser hatte mehr Kraft, als Anna erwartet hatte. Sie verlor den Boden unter den Füßen. Verzweifelt kämpfte sie da gegen an, doch es riss sie einfach mit durch den engen Felskanal. Panisch schlug sie um sich, versuchte im schäumenden Wasser auf die Beine zu kommen. Für einen Moment sah sie sich wieder wie im Lech um ihr Leben kämpfen. Da hatte Raoul sie erreicht. Un sanft schob er sie auf den steinigen Rand. Die Strömung zerrte an ihrem Haar, aber

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