Die Gauklerin von Kaltenberg
»Bitte, bleibt!«
8
Raoul schlug die Augen auf. Er richtete sich auf die Ellbogen auf und sah an sich herab. »Zum Teufel! Was hast du mit mir ge macht?«, stieß er mühsam hervor.
Anna war so erleichtert, dass ihre Stimmung von einem Au genblick auf den anderen umschlug. Ungehemmt begann sie zu lachen, dass es sie schüttelte. Gerade erst hatte er einen Haufen bis an die Zähne bewaffneter Straßenräuber verprügelt. Es trieb ihr die Lachtränen in die Augen, dass dieser Mann nun mit auf geschnittener Bruche vor ihr lag. Der gefürchtete Ritter hilflos wie ein Kind in den Händen einer Gauklerin! Allein dafür hatte es sich gelohnt, ihm das Leben zu retten.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht sank er zurück. »Wende gefäl ligst die Augen ab!«
Dieses Schamgefühl hatte sie ihm gar nicht zugetraut. Anna wischte sich mit dem Ärmel die Lachtränen ab. Sie dachte gar nicht daran zu gehorchen.
»Zum Teufel mit dir!«, keuchte Raoul. »Wo ist mein Schwert?«
Anna hob die schwere Waffe auf, die wenige Schritte entfernt im flachen Wasser lag. »In Eurem Zustand solltet Ihr Euch nicht einmal mit einer Possenreißerin anlegen.« Sie beugte sich über ihn. Mit einem boshaften Lächeln wiederholte sie, was er einmal zu ihr gesagt hatte: »Findet Euch damit ab, dass Ihr keinen Beschüt zer habt. Abgesehen von mir.«
»Ich bringe dich um!«, stöhnte Raoul – und wurde ohnmächtig.
Anna legte das Schwert neben ihn. Sie kletterte den Hang hinauf, wo der Rappe wartete, und holte die Pferdedecke. Sorgsam breitete sie sie über Raoul. Sie strich ihm das schwarze Haar zu rückund ließ ihre Hand einen Herzschlag lang auf seiner Stirn liegen. »Ich warte darauf«, sagte sie lächelnd.
Als Maimun nachkam, hatte Anna das Pferd schon sorgsam an den Beinen gefesselt. Beim Sprung über die morsche Brücke hatte es sich einen Riss am Bein zugezogen, doch ansonsten war es un versehrt. Raoul wachte erst auf, als sie ihn mit vereinten Kräften auf die Decke hoben und durch das raschelnde Laub den Hang hin aufschleiften. Maimun ließ Anna Wasser holen und gab ihm Weidenrinde zu kauen, um den Schmerz zu betäuben. Dann be gutachtete er den Verband und sah überrascht auf.
»Ich hätte es nicht besser machen können. Du hast ihm das Le ben gerettet.« Er wandte sich an Raoul: »Ein paar Meilen weiter hat ein Köhler seine Hütte. Glaubst du, du schaffst es bis dorthin?«
Raouls dunkle Brauen zogen sich zusammen, er nickte. Müh sam kam er aufs Pferd, um sofort mit schmerzverzerrtem Gesicht nach vorn zu sinken. Anna nahm die Zügel in die Hand.
Wenige Meilen oberhalb machte der Wald einer Bergwiese Platz. Der Weg war dem Bach gefolgt, der hier oben flach und von Viehfurten durchzogen war. So würden sie frisches Wasser haben, dachte Anna. Heu war über kreuzweise genagelte Pfosten zu Männ chen aufgehängt und verriet die Anwesenheit von Menschen. Durch eine Ziegenherde näherten sie sich etwas, das allerdings kaum den Namen Hütte verdiente. Waghalsig wie ein Adlerhorst klebte der Unterstand auf einer Felsnase.
Die Frau des Köhlers, welche die Ziegen zum Melken hineintrieb, schrie entsetzt auf, als sie die Pferde und das Schwert bemerkte. Sie ließ ihren Stock fallen, rannte ins Haus und kam mit der Mistgabel wieder heraus. Die Augen in ihrem wettergegerbten Gesicht rollten und immer wieder schlug sie das Kreuz, als hätte sie noch nie Fremde gesehen. Hinter der Hütte kam der Köhler hervor. Er zog noch den Kittel über den schmutzigen Hintern, offenbar hatten sie ihn bei seinem Geschäft gestört. Aus sei nemMundwinkel lief bräunlicher Saft, er kaute irgendein Kraut. Die Frau drückte ihrem Mann die Mistgabel in die Hand und versteckte sich hinter ihm. In ihrem Dialekt warf sie ihm mehr geschriene als gesprochene Worte zu.
»Habt keine Angst!«, rief Anna den beiden zu. »Mein Herr will nur ein wenig bei euch ausruhen.«
Der Köhler umklammerte die Mistgabel fester. »Natürlich wer den wir eure Gastfreundschaft bezahlen«, fügte sie hinzu.
Der Mann und die Frau wechselten einige geflüsterte Worte. Die Alte stieß ihn in den Rücken. »Also gut«, nickte er.
Sie überließen Anna und den Männern die Hütte und verkrochen sich mit den Ziegen in die umfriedete Weide dahinter. Anna fand einen Besen und kehrte den Unrat hinaus, während Maimun Raoul hinter der Hütte in trockene Kleider half. Ihr eigenes Kleid war feucht und klamm, aber beim Arbeiten würde es bald trock nen. Als die Männer kamen, hatte sie hinter der Tür
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