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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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gezeigt, dass sie ihm niemals in die Hände fallen durfte. Mit dem Geld, das sie von König Ludwig und von freige bigen Pilgern hatte, war sie schneller denn je über die Berge ge kommen. Mehrmals hatte sie die Grenze zwischen Tirol und dem Bistum Freising überschritten. Aber offenbar war die Nachricht von ihrer Flucht noch nicht zu den entlegenen Grenzposten ge drungen. So war sie jetzt fast am Walchensee und endlich auf dem Boden des Klosters Benediktbeuern.
    Es hatte sie fast zerrissen, Raoul zu verlassen. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, hatte sie sich aus seinen Armen befreit. Nur müh sam hatte sie sich beherrscht, die ausdrucksstarken Lippen und die Lider unter den dunklen Brauen zu küssen. Er weckte etwas in ihr, das sie an sich nicht gekannt hatte. In seinen Armen fühlte sie sich stark, die ganze Welt herauszufordern. In der Nacht mit ihm war sie vollkommen glücklich gewesen. Wenn sie daran dachte, lä chelte sie verstohlen. Ihr Herz schlug schneller, und sie wurde fast verrückt vor Sehnsucht nach ihm. Ich liebe dich , flüsterte Raoul in ihrem Kopf. Ich liebe dich, Anna .
    »Er ist ein Ritter von Herzog Leopold, das sag ich euch. Vielleicht sucht er jemand.« Der Kaufmann war vom Kloster herauf gekommenund hatte noch in der Tür seine Neuigkeiten zum Besten gegeben. Breitbeinig kam er herüber an den einen der beiden Tische, wo Anna saß. »Trieb sich in der Gegend von Benediktbeuern herum, ein grauhaariger Bursche im weißen Waffenrock.«
    Wachsam sah Anna von ihrer Kohlsuppe auf. Sie tastete nach der Handschrift an ihrem Gürtel. Dass sie das Buch aus der Kapelle von Neustift gestohlen hatte, konnte sie an den Galgen bringen. Besorgt sah sie sich um. Die Reisegesellschaft im Zollhaus war nicht groß: ein junger Ritter, der sich im Augenblick beim Schach brett bemühte, die Aufmerksamkeit seiner Dame zu erwecken. Ein paar Kaufleute und ein Tuchmacher aus Venedig, der nur schlecht Bairisch sprach. Das Gefolge soff sich hinten um den Ver stand. Ob Leopolds Arm bis hierher reichte?
    Der Wirt schob einen Trinker beiseite, der den Kopf in den Ar men vergraben hatte, um dem Ankömmling Platz zu machen.
    »Miserables Wetter«, meinte der Kaufmann und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Er bestellte Dünnbier, Haferkuchen und Zwie beln. »Der Saumpfad hinunter nach Kochel ist halb vom Schmelz wasser weggerissen worden. Seht euch vor, es ist alles unterspült. Und auf dem Pass ist eine Mure abgegangen. Ich musste auf allen vieren über Schlamm und Steine kriechen. Aber in ein paar Tagen bin ich wieder bei meiner Frau. Sie soll zu Ostern niederkommen.«
    Anna ließ den Löffel sinken. Bisher war ihr der Gedanke noch nicht gekommen, dass sie gut von Raoul schwanger sein konnte. Sie wollte nicht daran denken. Jahrelang hatte sie sich nichts mehr gewünscht, als endlich von der Straße wegzukommen. Sich nicht mehr verstecken zu müssen, zurück in ihr Dorf, wo sie zu Hause war. Und zu Ulrich.
    Sie hatte ihn verraten. Der Gedanke tat weh. Die ganze Zeit war sie nie in Versuchung gewesen, bei einem anderen zu liegen. Sie wusste nicht, was schlimmer war: Dass es nun doch geschehen war – oder dass es ausgerechnet Raoul war: der Mann, den sie hassen müsste, solange auch nur ein Funken Leben in ihr war. Anna löffelteihren Napf leer und stand auf. Sie konnte sich nicht dazu durchringen, diese Nacht zu bereuen. Aber sie wusste auch, was sie zu tun hatte. Jetzt kam es darauf an, Kaltenberg zu erreichen, ohne Leopolds Häschern in die Hände zu fallen. Und das würde schwer genug sein.
    Am nächsten Abend kurz vor der Abtei Benediktbeuern trennte sie sich von der Reisegesellschaft. Anna wollte nicht weiter, son dern in der Klostersiedlung übernachten. Seit Tagen fühlte sie sich müde, und immer wieder hustete sie.
    Das Dorf lag am Rand des gefährlichen Loisachmoors. Nebel verdichtete sich in der Dämmerung zu weißen Streifen, und die wuchtigen Türme der Basilika hoben sich kaum heraus. Die En klave musste gewaltig sein, schon von fern waren Anna die abwei senden Mauern aufgefallen. Aber vor dem Berg dahinter, der Be nediktenwand, wirkten Dorf wie Kloster winzig.
    Es dämmerte schon, und kaum noch jemand war auf der Straße. Nur ein Junge zog einen Handkarren mit Brot hinter sich her. Anna wollte ihn nach einer Unterkunft fragen, da sah er über die Schulter. Er schrie, ließ seinen Karren fallen und rannte davon. Anna folgte seinem Blick.
    Eine Jagdgesellschaft galoppierte heran. Das Reh hetzte quer über den

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