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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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Acker rechts der Straße auf die Benediktenwand zu, und die Ritter jagten hinterher. Ohne sich zu kümmern, dass sie den Boden und die ersten zarten Pflänzchen zerstampften, trieben sie ihre Pferde übers Feld. Sie würden sie einfach niederreiten.
    Anna versuchte seitlich auszuweichen, aber auf dem Boden kam sie kaum vorwärts. Die Schollen beschwerten ihre Schuhe. Sie stürzte und blickte keuchend vor Panik über die Schulter.
    Johlend jagten die Reiter über den Acker. Die Pferde drohten zu stolpern. Donnernd preschten sie an ihr vorbei, so nahe, dass die von den Hufen aufgewühlte Erde auf sie spritzte und sie von oben bis unten besudelte.
    Hustendkam Anna auf die Beine und wischte sich den Schlamm aus dem Gesicht. In einigem Abstand hinter der Jagd gesellschaft sah sie noch ein Pferd auf sich zukommen. Der Rei ter trug einen hellen Waffenrock. Er hatte sein Pferd gezügelt und sah zu ihr herüber. Anna dachte an den Kaufmann im Zollhaus. War das der Ritter des Herzogs? Und sie war ihm aufgefallen!
    Verzweifelt sah sie sich um. Die Dörfler hatten ihre Türen ver riegelt. Auch die Klosterpforte musste längst zur Nacht verschlos sen sein. Am Feldrand stand eine einzelne Hütte mit zwei Neben gebäuden. Sie erkannte ein paar vernachlässigte Bienenstöcke und einen grob aus Ästen gefügten Zaun. Dahinter erhob sich die lang gezogene Mauer der Enklave. Vielleicht ein Hof des Klosters, den man bald aufgeben würde, weil er zu wenig abwarf. Sie lief dort hin und trommelte mit den Fäusten gegen die Tür.
    Ein Mönch öffnete, und mit einem Schrei fuhr Anna zurück. Ein Geschwür verunstaltete fast seine ganze linke Wange. Er stank nach einer Mischung aus krankem Fleisch und scharfen Salben. »Es ist spät, aber wir weisen niemanden ab«, sagte er. »Dies ist das Lepraspital von Benediktbeuern.«

2
    Der Mönch zeigte Anna ein Strohlager, wo sie schlafen konnte. »Die Frau ist gestern gestorben. Es kommt immer wieder vor, dass einer von uns sich ansteckt«, erklärte der Mönch. »Aber hier woh nen nicht nur Aussätzige.«
    Am liebsten wäre Anna wieder gegangen. Wusste der Teufel, welche Seuchen hier noch verbreitet wurden. Hoffentlich bestand der Mönch nicht darauf, dass sie, wie üblich, nackt schlief, um keine Wanzen ins Bett zu tragen! Sie beschloss, das Messer nicht aus der Hand zu legen.
    Die Nacht war unbequem. Die Hütte war kaum mehr als ein in Zellen unterteilter Bretterverschlag. Durch die Wände wehte ein kalter Hauch herein. Es stank nach getragenen Kleidern, ständig scharrte jemand, und Kinder riefen im Schlaf nach ihren Eltern. Die Frau, mit der Anna ihr Lager teilte, hatte zuerst ununterbro chen gehustet, jetzt schnarchte sie mit offenem Mund. Irgendwo schrie ein Mann immer wieder.
    Anna wälzte sich auf die andere Seite. Die Stimme erinnerte sie an jemanden. Wieder hörte sie ihn rufen, und mit zitternden Händen richtete sie sich auf. Für einen Moment hatte sie geglaubt, die Stimme Heinrichs von Wolfsberg zu erkennen – des Mannes, der sie geschändet hatte. Sie wusste, dass er für Herzog Leopold kämpfte, und dessen Männer trieben sich in der Gegend herum. Aber der gefürchtete Raubritter würde wohl kaum in einem Armenhospiz übernachten. Entschlossen stand sie auf, warf ihr Hemd über und nahm die Fackel aus der Halterung. Vielleicht konnte sie den Kranken wecken und er würde danach ruhiger schlafen. Sie öffnete die Tür, hinter der die Schreie hervordrangen.
    Einfurchtbarer Gestank nach Erbrochenem, nach Kot und ver gorener Milch schlug ihr entgegen. Der winzige fensterlose Raum war mit Flechtwänden von den anderen getrennt. Es gab nur einen Strohsack als Lager.
    Der Kranke fuhr hoch und starrte sie aus blicklosen Augen an.
    Mit einem Schrei taumelte Anna zurück. Jemand fing sie auf – der kräftige Mönch, der sie empfangen hatte.
    »Es geht zu Ende mit ihm«, flüsterte er. »Das Antoniusfeuer frisst ihn auf.«
    Mit schreckgeweiteten Augen starrte sie ihn an. Sie hatte sich nicht getäuscht: Der Kranke war Heinrich von Wolfsberg – der Fraß.
    Mit einer Mischung aus Abscheu und Entsetzen sah sie an ihm herab. Von dem kräftigen Ritter war nichts mehr übrig. Seine Haut hing in Falten herab, nur der Bauch war krankhaft angeschwollen. Finger und Zehen hatten sich zu Krallen verkrampft, wie um das Leben festzuhalten. Über das besudelte Lager und seinen nackten Körper zogen sich Rinnsale von Urin und Erbrochenem. Aber das Schrecklichste waren die Geschwüre, die den ausgemergelten

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