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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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uralten Zaubers zu rühren – als könnte sie mit den Worten auch Dinge in die Welt bringen, von denen sie nicht genau wusste, wie mächtig sie waren. Vom Burghof her hörte sie einen Karren rattern. Nachdenklich betrachtete sie wieder das Bild, das sie aus ihrer Vorlage gezogen hatte: die Frau in dem Rad, das die Menschen hochhob und wieder in den Staub warf. Sie rieb sich die eisigen Hände.
    Falconet kam näher und erkannte das Buch. »Mein Spielmannsbuch!« Hastig griff er danach und ließ es in seinen Kleidern ver schwinden. »Wie kommst du daran?«
    Anna bemühte sich um ein unschuldiges Gesicht. Heute Mor gen hatte er es in der Küche vergessen, und sie hatte nicht wider stehen können. »Ich wollte es dir zurückgeben«, verteidigte sie sich. »Ich verstehe ohnehin nicht, was drinsteht. Die Lieder sind lateinisch.« Carmina hatte Falconet die Lieder genannt. Das Wort hatte einen schönen Klang. »Manche sind auch auf Bairisch. Hast du sie gemacht?«
    »Da traust du mir zu viel zu.« Falconet fuhr ihr liebevoll übers Haar und beugte sich über das, was sie geschrieben hatte. »Stetit puella rubetae tunica …« Er stutzte, dann begann er laut zu lachen.
    »Was ist?«, fragte Anna beleidigt.
    Er schlug sich auf die Schenkel und brüllte vor Vergnügen. » Rufa !«, stieß er hervor. »Es heißt rufa tunica: Ein Mädchen stand da im roten Kleid . Du hast geschrieben: Ein Mädchen stand da im Krötenkleid !«
    Annas Mundwinkel zuckten, dann musste sie auch lachen. Laut und hemmungslos brach es aus ihr heraus, es schüttelte sie förmlich. Schon lange hatte sie nicht mehr so gelacht. Es war, als wollte sie alles nachholen, was sie in der letzten Zeit versäumt hatte.Sie wollte sich beherrschen, aber dann sah sie in Falconets grinsendes Fuchsgesicht und prustete wieder los.
    »Woher kommst du, dass du Latein sprichst?«, fragte sie end lich.
    Der Gaukler ließ sich neben ihr auf den Boden fallen. »Aus dem Elsass. Ich sollte ins Kloster, aber ich bin davongelaufen.«
    »Hast du nie Sehnsucht gehabt zurückzukehren?«
    Falconet zögerte. »Doch«, antwortete er schließlich. »Aber manchmal muss man sehr weit reisen, um zu begreifen, wohin man gehört.« Auf einmal grinste er. »Du zitterst wie ein Jagdhund, der zum ersten Mal auf die Fährte gesetzt wird! Verleugne besser nicht, was dir im Blut liegt. Irgendwann bricht es hervor, ob du willst oder nicht. Und der Augenblick«, er berührte ihre Schulter, »der Augenblick könnte bei Gott der falsche sein.«
    Beschämt, an seinen Lippen gehangen zu haben, erwiderte sie abweisend: »Fängst du schon wieder damit an?«
    Falconet grinste verlegen. »Na, deshalb bin ich nicht hier. Ich wollte dir sagen, dass Herr Ulrich und sein Gast ihre Kräfte bei einem Reiterspiel messen, unten auf der Wiese. Das halbe Dorf ist schon dort!«
    Anna sprang von ihrem Holzklotz auf. Viel zu lange hatte sie ihre Freunde nicht gesehen. Und vielleicht ergab sich ja sogar eine Gelegenheit, ihre Eltern zu sprechen?
    Als sie sich der Wiese näherte und die Gerüche von Rauch und Kohlsuppe wahrnahm, erfüllte Anna eine freudige Erwartung. Im Waffenrock seiner Familie würde Ulrich ein beeindruckendes Bild abgeben. Der Gedanke erregte sie, bisher hatte sie ihn kaum in Rüstung oder gar beim Kämpfen beobachtet. Außerdem würde er Raoul in die Schranken weisen. Endlich würde sie den mächtigen schwarzen Ritter Staub schlucken sehen!
    Oberhalb der Wiese blieb sie stehen. Der Ort bei der Vorburg und den Wirtschaftsgebäuden auf der Südwestseite war kaum wie derzuerkennen.Wo sonst nur die Schafe vorbeigetrieben wurden, hatten die Knechte mit roten Bändern eine Reitbahn markiert. Wimpel flatterten im Wind, und jemand hatte Juthas ledernen Faltstuhl ins Freie gebracht. Daneben war Ulrichs Schild mit dem schwarzweißen Wappen und der Hopfenrebe aufgestellt. Eine schiefe Fanfare trompetete, Pferde wieherten, und die Gerüche von Öl und Leder mischten sich in die tausend anderen Düfte. Knechte schleppten mehrere Klafter lange Lanzen und die Schwerter. Ein buntes Gewimmel von braunen und grauen Cotten breitete sich vor ihr aus. Die halbe Burgsiedlung musste sich hier versammelt haben. Von überall strömten noch mehr Leute heran, angelockt von der Abwechslung – und von dem Fass, das Gernot gerade anzapfte. Ihre Eltern waren wieder nicht zu sehen, stellte Anna enttäuscht fest.
    Regina und einige andere Frauen sangen und klopften mit ih ren Holzschuhen den Takt dazu. Lachend riefen sie Falconet

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