Die Gauklerin von Kaltenberg
zu sich heran. Es war ihnen anzusehen, wie sehr sie dieses harmlose Vergnügen nach den schrecklichen Ereignissen genossen. Anna schob die Gedanken weg und ließ sich mittreiben. Übermütig tanzte und schrie sie mit ihnen die Freude heraus, noch am Leben zu sein. Im Rhythmus von Falconets Flöte schlängelte sie sich durch die Leute. Cotten aus grober Wolle und Hanf streiften sie, der Geruch nach tagelang getragenen Kleidern und Zwiebeln hing zwischen den Menschen. Auf der Reitbahn war Hartmut mit etwas beschäftigt, das sie eher für eine Vogelscheuche gehalten hätte: einem Gestell, das mit einer ausgedienten Cotte bekleidet war. Neugierig kam sie näher. Über dem einen Arm des Gestells lag ein Holzschild, der sicher schon bessere Tage gesehen hatte. Am andern hing ein fleckiger Sack. Das Ganze war auf einer Vor richtung angebracht, die es erlaubte, es zu drehen. Alles roch schimmlig, als hätte es den Sommer auf einem undichten Scheu nenboden verbracht.
»Ich nenne ihn Roland. Man sticht mit der Lanze nach dem Schild«,erklärte Hartmut und zog die Stricke fest, an denen die Vorrichtung befestigt war. Er lächelte ihr zu, wie so oft, wenn sie auf der Burg miteinander arbeiteten. »Wenn man dann nicht sofort dem Pferd die Sporen gibt, schwenkt das Gestell herum, und der Aschesack wirft einen zu Boden. Offenbar langweilt sich unser Gast.«
Das war nicht verwunderlich. Bald würde der Winter die Burg in einen eisigen Panzer hüllen und bis zum Tauwetter einschlie ßen. Dann blieb nur noch die Unterhaltung, die innerhalb der Mauern möglich war – Schach, Spielleute und Musik. Mit einem verstohlenen Lächeln dachte Anna an die vergangene Nacht, und wie Ulrich sie heute Morgen von hinten umarmt hatte, als gerade niemand hinsah. Es würde ihnen sicher auch noch mehr ein fallen.
»Das Leben auf der Burg scheint dir ja zu bekommen«, unter brach sie eine Frauenstimme. »Du bist gefüttert wie eine edle Dame!«
»Reingard!« Lachend fiel Anna der Hebamme um den Hals. Reingards schmale Hände waren wie immer gepflegt. Anna wuss te, dass sie damit kräftig zupacken konnte. Nach der Plünderung hatte sie oft voller Sorge an die Freundin gedacht, aber glücklicher weise war Reingards Selbstvertrauen so unverwüstlich wie ihr Lachen.
»Es gibt Neuigkeiten«, erzählte die Hebamme und zog sie zur Seite. »Gestern brachte sie ein fahrender Handwerksbursche: Sibylle hat den Goldschmied geheiratet, mit dem sie im Sommer aus Kaltenberg weggelaufen ist. Er hat einen Meister gefunden, in Brixen.«
»Brixen«, wiederholte Anna. Sie hatte keine Vorstellung, wo das lag. Sibylle hatte wirklich Mut gehabt.
Reingard lachte leise und wies über den Reitplatz hinweg, wo Ulrich soeben von der Burg herabkam. Unablässig redete der alte Seyfrid auf ihn ein. »Ich wette das Erbe meines seligen Johannes darauf, dass er ihn mit dem Quellwasser besprengen will.«
Tatsächlich: der alte Mann hatte eine kleine Phiole in der Hand.Annawusste, dass er es von der Quelle des heiligen Ulrich holte. Seyfrid war fest überzeugt davon, dass man damit alles besiegen konnte: Warzen, Furunkel, das Fieber und wahrscheinlich sogar den Aussatz. Ulrich schob ihn ungeduldig zur Seite, damit Gernot ihm in die Rüstung helfen konnte. Verstohlen genoss es Anna, ihren Geliebten zu beobachten. Das gepolsterte Untergewand ließ ihn noch kräftiger wirken. Jetzt streifte ihm der Knecht den Kettenharnisch über den Kopf. Wenigstens die zärtlichen Blicke konnte ihr niemand verbieten.
Eine schwarzgekleidete Gestalt schob sich in ihr Blickfeld, und sie zuckte zusammen. Nicht einmal ein Wappen schmückte Raouls Brust. Der Panzer schmiegte sich wie Seide an seinen Körper, und wider Willen musste sie zugeben, dass er gut aussah. Die Männer wechselten einige scharfe Worte, dann beendete Ulrich das Ge spräch mit einem wütenden Satz. Raoul maß ihn mit einem ver schlagenen Blick.
» Here Frouwe – heilige Maria!«, entfuhr es Reingard. »Das Wun derwasser kann vielleicht doch nicht schaden. Der Mann sieht aus, als wollte er eine Fehde austragen.«
Bisher war Anna nie der Gedanke gekommen, dass Ulrich je etwas zustoßen könnte. Aber auf einmal wäre sie gern in seiner Nähe gewesen.
Die Knechte halfen den Rittern in den Sattel. In der glänzenden Rüstung und auf dem gewaltigen Streitross mit der prachtvollen Decke schien Ulrich ihr seltsam fremd und unnahbar. Vergeblich suchte sie unter dem schimmernden Helm seine Augen. Er wog die Lanze in der Hand und legte sie
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