Die Gauklerin von Kaltenberg
nach seinem unbedeck ten Kopf. Raoul warf sich zur Seite. In derselben Bewegung durch schnitt seine Klinge die Bänder, die den Roland hielten, und das Gestell kippte auf Ulrich herab. Mit einem Schrei riss der Burg herr den Arm hoch, um sein Gesicht zu schützen. Krachend zer barst das spröde Holzgestell auf dem Boden. Ulrich taumelte, und Raoul nutzte die Gelegenheit, um seinen Gegner mit voller Kraft in die Kniekehlen zu treten.
Brüllend vor Wut kam Ulrich wieder hoch, brachte seinen Geg ner mit einem geschickten Wurf zu Fall und stieß senkrecht von oben zu. Im letzten Augenblick rollte Raoul zur Seite und stand wieder auf den Beinen. Er versetzte Ulrich einen Schlag mit dem eisernen Knauf, der ihn rücklings ins Gras schleuderte, und riss ihm den Helm ab. Ein überwältigendes Triumphgefühl bemäch tigte sich seiner. Mit beiden Händen hob er das Schwert.
Irgendwo hörte er eine Frau schreien. Unter dem Harnisch hob und senkte sich seine Brust heftig. Mit rotem, verschwitztem Ge sicht starrte Ulrich ihn entsetzt an.
10
Annas Herz setzte einen Schlag aus. Eisige Kälte verschlug ihr den Atem. Sie war nicht imstande, noch einmal zu schreien, starrte stumm auf die schlanke dunkle Gestalt über ihrem Geliebten. Nur das heftige Heben und Senken von Ulrichs schwarzweißem Waf fenhemd verriet, dass er dasselbe dachte wie sie alle: Sein Gegner würde ihn töten.
Raouls Hand zitterte. Auf einmal warf er das Schwert weg. Mit der Schulter wischte er sich das feuchte Haar aus dem Gesicht. Dann streckte er die Rechte aus, um Ulrich auf die Beine zu hel fen.
»Das war ein guter Kampf.« Das leichte Beben in Raouls Stimme war deutlich zu hören. Die Zuschauer waren so still, dass man selbst seine heftigen Atemzüge wahrnahm. »Aber ich fürchte, wir müssen die Regeln noch einmal klären.«
Ulrich spuckte wütend aus. »Was Ihr nicht sagt!«
»Ich schlage vor, wir lassen das Ergebnis nicht zählen.« Raouls höfliche Worte standen im Widerspruch zur plötzlichen Ironie seines Tonfalls.
Ulrichs Lippen waren bleich vor Wut, und er erwiderte den hasserfüllten Blick. Atemlos verfolgten die Dorfleute das stumme Duell. »Wie Ihr wollt«, presste er endlich zwischen den Zähnen hervor.
Ein Seufzen ging durch die Zuschauer. Anna wäre am liebsten zu ihm gerannt, um ihn zu berühren und sich zu vergewissern, dass ihm nichts geschehen war. Doch er humpelte ohne ein Wort zu seinem Pferd. Seyfrid lief ihm mit seinem Ulrichswasser nach, und mit einer widerwilligen Bewegung schob er den Alten weg.
Eswar zu kalt, um draußen zu essen, so ließ der Burgherr im Rittersaal decken. Um diese Tageszeit fiel kaum noch Licht durch die schartenartigen Fensternischen. Ausnahmsweise hatte Ulrich auch die Tische für das Gesinde hier aufstellen lassen – einfache Böcke, auf denen die Platten lose auflagen. Auf dem Herrentisch stand das Aquamanile, die Wasserkanne mit dem Tierschnabel, um die Hände zu waschen. Offenbar wollte er Eindruck machen. Anna zündete noch das Kohlenbecken an. Man würde es brau chen: Die Fenster waren noch nicht mit Pergament verschlossen, und mit den Essensdüften wehte kühler Wind herein. Es roch nach Huhn und Mandeln, vermutlich gab es Geflügelpastete in Mandelmilch für die Herrschaft. Dazwischen mischte sich der Ge ruch von gedämpften Rüben und den Hühnerinnereien – vermut lich das Dienstbotenessen. Sie wischte die Hände an ihrer groben Cotte ab und erhob sich, als die Herrschaft hereinkam.
Ihre Sorge legte sich etwas. Offenbar hatten die Männer schon zusammen getrunken. Sie tauschten zwar nicht gerade Bruder küsse, aber es schien, als hätten sie ihren Streit beigelegt. Ulrich lachte schallend über eine Bemerkung seines Gastes und schlug ihm auf die Schulter. Erleichtert bemerkte Anna, dass der Bluter guss in seinem Gesicht nicht groß war. Abgesehen von kleineren Schrammen hatte er keine Wunden. Obwohl er sie in Gesellschaft nie beachtete, versetzte es ihr heute einen Stich. Er hätte tot sein können.
Das Essen wurde über den Hof gebracht und war schon abgekühlt, aber Anna sah ohnehin ständig besorgt nach Ulrich. Falconet, der die Herrschaft mit seiner Flöte unterhielt, beobachtete ihn ebenfalls unter seinen buschigen Brauen. Endlich winkte Jutha ihm, dass er aufhören könne, und dankbar kam er an den Gesindetisch. Die Burgherrin hatte den Anlass genutzt, um sich herauszuputzen: Ein roter, gelb unterlegter Surcot mit Stickerei schmiegte sich an ihren Oberkörper, das Rockteil fiel in
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