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Die Gauklerin von Kaltenberg

Titel: Die Gauklerin von Kaltenberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Freidank
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offen zu dem Mann zu bekennen, den sie liebte. Die von Schrecken und alltäglichen Ängsten abgestumpften Gefühle wurden zu einem ge fährlichen Strom, der sie mitriss. Zum ersten Mal wurde ihr klar, was sie wirklich fühlte.
    » Feror ego veluti sine nauta navis , ut per vias aeris vaga fertur avis , Non me tenent vincula, non me tenet clavi s Quero mei similes et adiungor pravis … « Ulrich setzte den Humpen ab und fuhr sich mit der Zunge übe r
    die Lippen. Selbst wenn sie sich zurückhaltender hätte bewegen wollen, hätte sie es nicht mehr fertiggebracht. Es zählte nur noch der Klang, der in ihr vibrierte, der Rhythmus, der sie in Besitz nahm wie ein haltloses Lachen oder Weinen, viel mehr als Met oder Bilsenkraut. Es war mit keinem Gefühl vergleichbar, das sie kannte. Rote Strähnen hatten sich aus ihrem Zopf gelöst und fie len ihr in das erhitzte Gesicht.
    » Via lata gradior more iuventutis , implico me vitiis, immemor virtutis , voluptatis avidus, magis quam salutis , mortuus in anima, curam gero cutis. « Mit dem letzten Ton warf sie den Kopf zurück wie in Erwartung eines Kusses. Von ihrem Atem bewegt, zitterten die feuch ten Locken. Es war totenstill.
    Langsamöffnete sie die Augen. Ulrich verschlang sie mit Bli cken. Raoul betrachtete sie forschend, seine Lippen hatten sich leicht geöffnet. Rosa griff nach Hartmuts Hand, und Gertraut weinte lautlos. Anna hatte nicht gewusst, dass diese harte Frau Tränen hatte.
    »Ein interessantes Lied«, brach Jutha den Bann. Ihre Stimme klang hart, und die Hände waren so fest ineinander verkrampft, dass die Fingernägel tief in die Haut schneiden mussten. Mit un bewegter Miene übersetzte sie, und in der Stille war jedes Wort deutlich zu verstehen: »Auf breiter Straße gehe ich, nach altem Brauch der Jugend,/verstricke mich in Laster, und pfeife auf die Tugend!«
    Anna erschrak. Sie hatte keine Ahnung gehabt, was sie sang. Fahrig strich sie die feuchte Cotte glatt. Aber als sie in Juthas Ge sicht sah, wusste sie, dass es zu spät war: Die Burgherrin wusste, was zwischen ihr und Ulrich war.
    »Affenmusik!« Jutha spuckte das Wort verächtlich aus, doch ihre Lippen waren bleich und schmal. »Gut genug, um den Moh rentanz zu tanzen!«
    Anna verstand die Redewendung nicht, aber Ulrich schien sie zu kennen. »Was soll die Anspielung!«, fuhr er seine Frau an.
    Die Diener tuschelten und kicherten, aber sie fing die einzelnen Worte nicht auf. Ulrich hatte sich erhoben. »Ich verbiete dir …«
    »Was?«, schrie Jutha. »Du wirst mich nicht mit dieser kleinen Dorfmetze demütigen!« Auch wenn Ulrich recht hatte und sie nichts für ihn empfand, spürte Anna doch, wie verletzt sie war. Verzweifelt verfluchte sie das Bier und Falconet. Sie hatte es nicht gewollt, sie hatte nicht anders gekonnt, aber das änderte nichts. Jutha schob ihren Becher zurück und erhob sich. »Schick sie auf die Straße, wo sie hingehört!«
    Anna fuhr zusammen. So erhitzt sie gewesen war, so eiskalt wurde ihr jetzt. Von ihrer Familie konnte sie nichts mehr erwarten. Für sie war sie gestorben, als sie sich entschieden hatte, Ulrichzu lieben. Aber allein konnte niemand auf der Straße überleben.
    Jutha wollte zur Tür, um ihren Mund lag ein harter Zug. Ulrich kam ihr nach und hielt sie im Ausgang fest. Sie befreite sich, und er hob die Hand. Anna stieß einen erschrockenen Laut aus.
    Raoul war um den Tisch herumgekommen und hielt sie zu rück. »Lass das. Du bist für deine Eitelkeit schon viel zu weit ge gangen.«
    Sie riss sich los und wollte zu Ulrich, der noch immer mit erho bener Hand dastand.
    »Tu es doch!«, schrie Jutha ihn an. Ihre Stimme klang erstickt, als kämpfe sie mit den Tränen. »Schlag zu!«
    Sein Blick schweifte über die betretene Dienerschaft, Anna, die ihn mit weit aufgerissenen Augen ansah. Endlich ließ er die Hand langsam sinken. Jutha bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick und verschwand durch die Tür.
    »Lasst es gut sein«, mischte sich Falconet ein, als der Burgherr seiner Frau folgen wollte. »Sie wird sich schon damit abfinden.«
    »Womit?«, fuhr Ulrich zu ihm herum. »Halt dein ungewasche nes Maul!«
    Er kam herüber, mit voller Wucht schlug er ihn in den Bauch. Der Gaukler krümmte sich und schnappte nach Luft. Anna musste an den jähen Zorn denken, mit dem der Burgherr seinen Schmied fast erschlagen hätte. Und ein Gaukler hatte weniger Rechte als ein Leibeigener. Sie fiel Ulrich in den Arm, doch er schleuderte sie weg.
    Krachend prallte sie an die

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