Die Gauklerin von Kaltenberg
setzte über Fässer und Kadaver und schlug nieder, was ihm in den Weg kam. Seine Männer schlitzten Kissen auf und stachen ihre Klingen ins Heu. Wer sich mit brennenden Scheiten zur Wehr setzte oder fliehen wollte, wurde niedergemacht, Frauen in die Sättel geris sen. In der Abenddämmerung blitzten die Waffen, Schreie hallten durch die Nacht und gaben dem Fraß das berauschende Gefühl, Herr über Leben und Tod zu sein. Mit aller Kraft seiner rauen Kehle johlte der Wolfsberger seine Zerstörungswut hinaus. So schnell, wie sie gekommen waren, galoppierten sie durch die auf spritzenden Bachläufe zurück. Das letzte Mädchen, das bei Mor gengrauen mit zerrissenem Kleid den Weg zurückfand, brachte die Botschaft Heinrichs von Wolfsberg an die Bauern des Lechrains: Betet, dass Friedrich von Österreich als König gehuldigt wird!
3
Bisher hatte der Narr des Bischofs nichts gegen Anna unternom men. Aber sie wusste, dass er auf eine günstige Gelegenheit war tete. Winterstürme trieben Schnee über Freising. Die breiten, von flachen Inseln durchzogenen Nebenarme der Isar froren zu. In den Flussauen waren die Pfade kaum begehbar. Allzu leicht konnten Lasttiere auf dem vereisten Boden ausgleiten. Wochenlang waren keine Nachrichten mehr gekommen, doch es schien, als sei der Krieg für den Augenblick vorübergezogen.
»Ludolf ist ein göttlicher Liebhaber«, flüsterte Eva. Wie jeden Abend saßen die Gaukler mit dem Gesinde eine Stunde am Ka min. Anna saß in Schaffelle eingehüllt da, und Knacken des Feu ers erinnerte sie an ihre Kindheit. Über ihnen trocknete Wäsche, und hin und wieder schleppte jemand neues Reisig herüber und brachte einen eisigen Hauch mit herein. Der Hungerwinter hatte die beiden Frauen zusammengeschweißt, sie hatten keine Ge heimnisse mehr voreinander.
»Frauen, die im Bett eines Priesters erwischt werden, werden ausgepeitscht oder verkauft«, tuschelte Eva weiter. Sie wirkte allerdings nicht, als würde ihr das Sorgen machen. Anna hatte den Verdacht, dass sie sogar noch stolz darauf war. Aber sie kannte Eva inzwischen gut genug. Irgendwo in dieser Straßenkatze war eine liebevolle Mutter und Freundin verborgen.
»Heulst du dir noch immer wegen Ulrich die Augen aus dem Kopf?«, fragte Eva. »Wenn du heiraten willst, lass dir doch vom Bi schof einen Mann geben.«
Anna wollte antworten, dass sie das nicht konnte, als die Tür aufflog. Mit von der Kälte geröteten Wangen stürzte Falconet her ein.Hinter ihm her kam der Schreiber des Bischofs mit geraffter Kutte. »Diebe!«, japste er.
Sofort drehten sich alle Köpfe herum. Die Leute sprangen vom Feuer auf und feuerten den Schreiber an. Wie wild begannen die Hunde im Eingang zu kläffen. Knurrend verbiss sich einer in Fal conets Cotte und riss einen Fetzen heraus.
»Der Bursche hat ein gestohlenes Pergament!« Der Schreiber hatte den Gaukler am Kragen gepackt und griff nach dessen Spiel mannsbuch. Er förderte das Blatt mit dem Schicksalsrad zutage und hielt es hoch. »Das hast du doch nicht selbst gemalt! Hängen sollte man dich!«
»Ich habe es nicht gestohlen«, verteidigte sich Falconet. Anna bezweifelte das. Sie wechselte einen besorgten Blick mit Eva.
Der Aufseher über das bischöfliche Gesinde schob die Gaffer zur Seite und kam herüber. »Habt Ihr einen Grund für diese schwere Anklage?«, wandte er sich an den Schreiber.
»Fahrendes Gesindel«, fauchte der. »Wie soll er sonst an so et was kommen?«
Falconet grinste, und seine Erleichterung war mit Händen zu greifen. »Die Leute mögen eben meine Musik.«
Der Aufseher versuchte den Schreiber zu besänftigen. Als er ihn höflich, aber bestimmt hinausschob, schimpfte dieser wie ein Rohrspatz über das diebische Gauklerpack.
»Woher hast du das Buch wirklich?«, fragte Anna, als Falconet sich erleichtert den Angstschweiß abwischte und ans Feuer kam.
»Ich habe die Abschrift selbst gemacht«, beteuerte er. Verlegen räusperte er sich. »Also gut: heimlich. Das Bild stammt aus dem selben Buch. Und wenn ich mich bei dem Besitzer blicken lasse, zieht er mir das Fell über die Ohren.«
Darum also hatte er ihr nichts über das Lied sagen können, das sie in Gefahr gebracht hatte!
»Das hättest du gleich zugeben können«, meinte Eva. »Du weißt doch, was es für sie bedeutet!«
Annaverpasste ihm einen Rippenstoß. »Wem hast du es gestoh len?«, fragte sie erwartungsvoll. »Glaubst du, er kann mir helfen?«
Falconet warf ein Scheit ins Feuer, stocherte mit dem Eisenstab in der
Weitere Kostenlose Bücher