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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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wohnen?»
    «Bei guten Freunden. Ich kenne zwei Brüder, Melchert und Lienhard Steiger, bei denen bin ich bisher immer untergekommen. Ihre Behausung ist vielleicht nicht jedermanns Geschmack, ein wenig eng und recht einfach, aber es ist ja nur vorübergehend. Der eine, Lienhard, kennt den Hofkapellmeister Salomo. Über Lienhard ist es sicher ein Leichtes, bei Salomo vorstellig zu werden. Und dann   –» Er zügelte das Maultier vor einem Schuppen. «Nun, das sieht mir doch nach einem passablen Quartier aus.»
    Er reichte Agnes die Zügel und sprang vom Karren. Dann zog er unter der Plane einen furchteinflößenden Vorderlader hervor.
    «Man weiß nie, was für Gesindel sich an solchen Orten rumtreibt.»
    Als er ihr erschrockenes Gesicht sah, grinste er. «Das Ding ist nur ein Requisit», flüsterte er, nachdem er sich nach allen Seiten umgeblickt hatte. «Ich weiß doch nicht mal, wie man mit einer Büchse umgeht.»
    Wie beruhigend, dachte Agnes, während Kaspar wie ein Heckenkrieger auf Beutezug zu dem windschiefen Schuppen schlich. Die Tür war aus den Angeln gerissen, an einigen Stellen hingen Bretter lose herunter. Beklommen sah sie ihm nach. Worauf hatte sie sich nur eingelassen?
    Ein Schrei entfuhr ihr, als ein plötzlicher Schlag, dann ein Fluch aus dem Schafsstall drangen. Doch es war nur ein Wildkaninchen, das mit angelegten Ohren zur Tür herausraste und im Zickzack das Weite suchte. Kurz darauf erschien Kaspar.
    «Niemand da. Wir können es uns kommod machen.»
    Sie schleppten ihre Decken und das Gepäck ins Halbdunkel des Schuppens. Während Kaspar das Maultier ausspannte, klaubte Agnes halbwegs sauberes Stroh zusammen und richtete das Nachtlager. Sie mochte kaum Luft holen, so scharf stank es nach altem Schafs- und Ziegenmist. Ein Rascheln und das hohe Pfeifen von Ratten ließen sie zusammenfahren.
    «Beim besten Willen – aber hier kann ich nicht schlafen», sagte sie, als Kaspar zurück war und sie mit sich auf das Lager ziehen wollte. «Lass uns in die Stadt fahren. Ich habe Geld dabei.»
    «Dazu ist es zu spät.»
    Er küsste sie zärtlich auf die Lippen. Dann hakte er ihren Umhang auf, öffnete ihr Mieder, ihr Hemd. «Wie schön du bist!»
    Ein wohliger Schauer erfasste Agnes, als seine Finger über ihre bloßen Brüste strichen. Sie hielt seine Hand fest.
    «Wie viele Nächte sind wir noch unterwegs?», fragte sie und versuchte streng zu klingen.
    «Schwer zu sagen. Wir müssen über Biberach, Ehingen, dann über die Alb, Urach, Nürtingen, Esslingen – sechs, sieben Nächte werden es schon sein.»
    «Versprich mir, dass wir künftig in Herbergen absteigen. Ich gebe auch von meinem Geld dazu.»
    «Verschwendung.» Er versuchte sein Handgelenk freizubekommen, doch ihr Griff war fest. «Und außerdem: Die Liebe in einem überfüllten Schlafsaal hat so gar nichts Berauschendes.»
    «Versprich es. Sonst halte ich die ganze Nacht über deine Hand fest.»
    «Was habe ich mir da nur für einen Dickschädel zur Frau erwählt! Na gut – ich verspreche es. Bei meiner Ehre als Gaukler.»
    Mochte diese Ehrbeteuerung für einen Fahrenden auch recht fragwürdig erscheinen – keinen Zweifel gab es für Agnes darüber, dass Kaspar sie liebte. Noch nie hatte ein Mann sie so zärtlich, so leidenschaftlich geküsst und berührt. Es schien, als habe er ein Feuer in ihr entfacht, wo bislang nur schwache Glut geschwelt hatte.
    Dennoch fand sie bis tief in die Nacht keinen Schlaf. Jedes Knacken, jedes Rascheln schreckte sie auf. Sie, die sonst über jeden Hasenfuß ihren Spott ausgoss, hatte Angst. Angst vor den Ratten, Angst vor den Gefahren, die auf einer so langen Reisedrohten, Angst vor der fremden großen Stadt. Und am meisten Angst vor dem Augenblick, wo sie erstmals wieder ihren Eltern gegenübertreten würde.

4
    Die freie Reichsstadt Esslingen lag hinter ihnen. Sie hatten in einer Fremdenherberge unterhalb des Zollbergs genächtigt, in einem heruntergekommenen Fachwerkbau nahe der mächtigen steinernen Neckarbrücke. Nun reihten sie sich ein in den Zug der Kaufleute, Kleinkrämer und Handwerksgesellen, die auf dieser bedeutenden Fernstraße im Herzen Württembergs immer zahlreicher wurden und den Neckar entlang in Richtung Residenz marschierten oder noch weiter, bis an den Rhein oder gar bis Flandern.
    Kaspar hatte sein Versprechen tatsächlich gehalten. Außer auf der Alb, wo sie in einer Scheune hatten nächtigen müssen und vor Morgengrauen von aufgebrachten Bauern verjagt worden waren, hatten sie jeden

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