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Die Gauklerin

Die Gauklerin

Titel: Die Gauklerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Gedanken umarme ich euch.
    Euer Jakob.
    Auch jetzt beschlich Agnes bei der Lektüre wieder eisiges Unbehagen. Aus den Zeilen sprach nicht mehr der Bruder, wie sie ihn gekannt hatte. Der sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als Menschen von ihren Leiden zu kurieren und sich in der Medizin zu vervollkommnen. Jetzt redete er nicht viel anders daher als Matthes, wenn auch aus anderer Richtung. Einer so verblendet wie der andere!
    Überhaupt verfolgte sie den Siegeszug der Schweden, ihrer Glaubensgenossen, durchs Römische Reich inzwischen mit wachsendem Argwohn. Zwar waren die Württemberger mit Antonias Bruder Eberhard, der nun mit neunzehn Jahren endlich seine rechtmäßige Regentschaft angetreten hatte, treue Verbündete der Schweden, doch hatte sie immer im Ohr, was ihr Antonia von Doctor Löffler zugetragen hatte und worüber auch auf der Gasse mit vorgehaltener Hand immer öfter gesprochen wurde: Die Schweden unter Oxenstierna seien überaus furios und wild, ihre Heerscharen trieben es schlimmer als die Straßenräuber, und die deutschen Freiheiten bedrohten auch sie. Konnte man diese Soldateska noch als Kämpfer für den rechten Glauben ansehen? Wie heil- und sinnlos alles schien.
    «Weißt du, woran ich in letzter Zeit oft denken muss?»
    Agnes sah erstaunt auf. «Du schläfst nicht?»
    «Was glaubst du, wie lang es braucht, bis ich in den Schlaf finde. Eben denke ich wieder an meine Kindheit zurück, wenn meine Mutter, also meine Ziehmutter Lene, des Abends neben der Lampe saß, gerade so wie du, und die Feldpost ihres Mannes las. Irgendwann löste sich ihr Blick vom Papier und ging in dieFerne, wie eben bei dir. Wie schwer ums Herz muss ihr oft gewesen sein. Und wie viel schwerer ist es für eine Mutter, ihre Söhne im Krieg zu wissen.»
    «Und du? Hattest du als Kind Angst um deinen Vater?»
    «Angst vielleicht nicht, eher Sehnsucht, weil er so oft fort war. Ich konnte mir nichts Rechtes unter Krieg vorstellen, ich dachte ihn mir wohl ähnlich dem Spiel meiner Brüder, wenn sie und die Gassenbuben aufeinander losgingen. Erst später, als Vater mit einer schweren Verwundung nach Hause kam, hab ich’s begriffen. Aber das waren andere Zeiten. Auch wenn mein Stiefvater als Hauptmann für die Habsburger kämpfte, fand der Krieg damals nicht vor der Haustür statt. Vor allem: Unter Kaiser Rudolf haben sich die Deutschen wenigstens nicht gegenseitig die Köpfe eingeschlagen. Es ist alles aus den Fugen geraten.»
    Agnes faltete den Brief zusammen und schwieg. Sie musste plötzlich an David denken, der in letzter Zeit immer häufiger nach seinem Vater fragte. Der immer noch glaubte, Kaspar kämpfe im Großen Krieg auf Seiten der Protestanten. Wann sollte sie ihm die Wahrheit sagen?
    Marthe-Marie richtete sich auf. «Denkst du, Matthes ist zum Papsttum konvertiert?»
    «Ich weiß nicht. Aber ich habe gehört, dass Wallenstein sich gegen die kaiserliche Order stellt, nur Katholische zu rekrutieren. Die Hälfte seiner Obristen sollen Lutheraner sein.»
    «Katholisch, lutheranisch – was hat das letztlich zu bedeuten? Wenn ich bedenke, dass ich selbst katholisch erzogen bin, ihr Kinder hingegen lutheranisch – glauben wir nicht alle an denselben gütigen Gott? Einmütig haben alle Christen miteinander gelebt, bis diese falschen Welschen, diese Jesuiten aus Spanien, gekommen sind, um den Kaiser aufzuhetzen. Die haben ihre mörderischen Prinzipien nach Deutschland eingeschleppt.»
    «Mag ja sein. Aber wenn es einen gütigen Gott für alle gibt, wie kann er dem Morden so ungerührt zusehen?»
     
    Drei Tage später war ganz Stuttgart in Aufruhr. Vor dem Rathaus krakeelte sich der Zeitungsträger die Kehle aus dem Hals.
    «Neueste Zeitung! Des Kaisers Bluthund tot! Ermordet zu Eger!»
    Die Leute rissen ihm die Blätter aus der Hand, manch einer machte sich im Gedränge davon, ohne zu bezahlen. An jeder Ecke, vor jedem Tor standen die Bürger, wer nicht selbst lesen konnte, lauschte seinem Gegenüber, vernahm die Ungeheuerlichkeit, die jede andere Nachricht in den Schatten stellte.
    Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein, Herzog von Friedland und oberster Feldherr des Kaisers, war ein für alle Mal abgetreten von der Bühne des Kriegstheaters. Der Mann, dessen Ruf düsterer und absonderlicher denn je geworden war, der seinen Obristen in seiner Gegenwart verboten hatte, Sporen und Stiefel zu tragen, der alle Hunde und Katzen in seiner Nachbarschaft hatte töten lassen, wenn er in eine Stadt einzog, der einen Diener vor

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